An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Winzerin mit 20 Jahren: Das Weingut Bernhard in Rheinhessen
6. Juni 2016
Martina Bernhard strahlt eigentlich immer. Mit diesem strahlenden, unbeschwerten, jugendlichen Lächeln und ihrem rüttelfesten Selbstbewusstsein steht sie voller Kompetenz und Leidenschaft auf jeder Verkostung hinter dem Tisch des Weinguts Bernhard. Sie hat auch allen Grund, zu strahlen. Denn welche Winzertochter hat mit 20 Jahren schon fast alles erreicht, was den Aufstieg zum „Weinmacher“ angeht. Sie ist in einer modernen Winzerfamilie aufgewachsen, ist während eines Südtirol-Urlaubs Elena Walch und deren Qualitätsphilosophie begegnet und schon hatte Martina die Weichen für den Winzerberuf gestellt. 2014 schloss sie erfolgreich ihre Winzerausbildung ab, im letzten Jahr wurde sie Weinbauwirtschafterin und wird sich im Herbst den Techniker für Önologie und Weinbau in die Tasche stecken. Seit 2015 trägt sie auch entscheidende Verantwortung im elterlichen Weingut. Nicht nur so „wir arbeiten gerne im Keller zusammen “, sondern ganz formal mit der Hälfte der OHG als Mitinhaberin neben ihrem Vater Jörg.
Heute stimmt Jörg Bernhard oft und gerne in Martinas Begeisterung für einen neuen Stil oder ein spielerisches Experiment ein. Er kann sich auf seine Tochter verlassen, die mit ihren Ambitionen viel Erfolg hat und auch die wirtschaftliche Zukunft des Familienbetriebs nicht außer Acht lässt. Als Mitglied in der Jungwinzerbewegung GENERATION RIESLING profitiert sie gerne vom Erfahrungsaustausch mit anderen Winzertöchtern und Winzersöhnen. Sie setzt auf ihre Intuition und auf das Erlernte, während Vater Jörg die Erfahrung und das technische Hintergrund-Know How beisteuert, was Martina dankbar annimmt. Bestimmt sind die verspielten Perlweine „Jörgissimo“ ein augenzwinkernder, superlativer Dank an den Größten. Wenn Tradition, moderne Technik, Freude an Innovationen und Mut zu Experimenten in einer glücklichen Wingertfamilie zusammentreffen, so ist das der ideale Ausgangspunkt für außergewöhnliche und individuelle Weinerlebnisse.
Martina ist überdies der eindrucksvolle Beweis, dass man es mit einem visionären Talent und dem energischen Zupacken im Weinberg und Keller weit bringt. Offenkundig sogar weiter als mit den auffällig gleichartigen Theorien und Ideen, mit denen viele junge Geisenheim- oder Weinsheim-Absolventen neuerdings ausgerüstet sind.
Die Folgen von Martinas Mitwirkung im Weingut blieben nicht aus: So adelte 2013 das Magazin Der Feinschmecker das Weingut als "eines der besten Weingüter in Deutschland" und das österreichische Weinmagazin Falstaff zählt es 2016 zu den 100 besten Weingütern Deutschlands.
Wie es der Arbeitsteilung in vielen Winzerfamilien entspricht, managt Ehefrau Sabine alles, was den kleinen Familienbetrieb jenseits der Weinerzeugung ausmacht. Und das erfordert bei den Bernhards einen enormen Einsatz. Denn neben der nahezu üblichen Betreuung von Haushalt und Büro ist Sabine Bernhard Chefin der Straußenwirtschaft Gutsschänke, die weit über den Ort hinaus einen legendären Ruf als rheinhessisches Schmankerln-Lokal erlangt hat. „Genießen uff Rhoihessisch“ ist der Schlachtruf, mit dem jeden Mittwoch ab 18 Uhr in der Schänke oder im Hof solide Hausmannskost mit einem der 35 offenen Weine serviert wird, gerne auch zum Quätschken über dies und das und überhaupt. Jung und Alt aus dem Dorf und der Region treffen sich zum Munkelteller mit der Auswahl an verschiedenen, regionalen Kreationen oder zu einem Schweinesteak mit Quellkrumbeeren, die andernorts so unkulinarisch Pellkartoffeln heißen.
Gemäß der regionalen Tradition war das Weingut zu Zeiten von Max Bernhard noch ein Mischbetrieb, den Weinbautechniker Jörg Bernhard in den 90er Jahren auf den Weinanbau konzentrierte. Er wollte auch weg von der rheinhessischen Massenmentalität und setzte auf die kontinuierliche Steigerung der Qualität, auch wenn er die Fassweinproduktion noch nicht ganz strich. Für seine Flaschenqualität turnte er schon mal in der Nacht um die Gärfässer herum, um die Temperatur seine „Babys“ im Blick zu behalten. Jörg Bernhard hat auch frühzeitig erkannt, wie entscheidend die Arbeit im Weinberg ist: Was man dort nicht investiert, kommt im Keller nicht heraus. Wesentliche Arbeiten im Weinberg werden allein von der Familie ausgeführt. In diesem Jahr versucht man erstmals ganz ohne Herbizide auszukommen. Im Keller setzt man unter anderem auf natürliche Hefen, großes Holz und im Übrigen auf Gelassenheit. Erst mal schauen, was der Most so macht und will, und nicht gleich wild herumpumpen. Den Weinen merkt man es an, wenn sie sich stressfrei selbst verwirklichen durften.
Dem Weingut gehören Weingut 25 Hektar Rebfläche. Die liegen unter anderem in den Einzellagen Wolfsheimer Osterberg und Wolfsheimer St. Kathrin, die beide zur Großlage Abtey im Weinanbaugebiet Rheinhessen gehören.
Der Reigen der Rebsorten, die das Weingut auf die Flasche bringt, ist für ein rheinhessisches Weingut eher selten und daher besonders bemerkenswert: Bei den Weißen sind es Riesling, Silvaner, Sauvignon Blanc, Grauer und Weißer Burgunder, Scheurebe, Müller-Thurgau, Morio-Muskat, Gewürztraminer, Bacchus, Huxelrebe und Chardonnay. Bei den Roten sind es Spätburgunder, St. Laurent, Portugieser, Dornfelder und Merlot.
Letztlich spiegelt die Vielfalt der Rebsorten die Tradition des Weinguts wider. Obwohl man sich neuen Trends angepasst hat – siehe Chardonnay, Sauvignon Blanc oder Merlot – hat man die Bestockung, die über die Jahre aus der Mode gekommen ist, erhalten – siehe Scheurebe, Müller-Thurgau, Bacchus oder Portugieser. Jetzt ist Martina Bernhard dabei, solchen alten Sorten neue und vielleicht überraschende Aspekte abzugewinnen, zumal man in Zeiten, als diese Rebsorten attraktiv waren, selten auf Qualität hingearbeitet hatte. Wer füllte schon einen Portugieser ins Barrique?
Die Weine sind bei Familie Bernhard in vier Linien eingeteilt:
Die Gutsweine spiegeln die ganze Bandbreite und Leistungsfähigkeit des Weinguts und sind die Visitenkarte im Einstiegsbereich. Hier kommt das Typische der Sorte und des Weinanbaugebiets zum Ausdruck. Es sind universelle Trinkweine für alle Fälle mit einem animierenden Preis-Leistungsverhältnis.
Die Ortsweine sollen ganz spezifisch das terroir ihrer Herkunft zum Ausdruck zu bringen, also Boden, Klima, Rebstöcke. Es sind reinsortige Weine, deren Komplexität und Energie schon im Weinberg mit Ertragsreduzierung und Traubenselektion vorbereitet wird. Sie kommen aus Wolfsheimer, St. Johanner und Vendersheimer Weinbergen, ganz nach Vorliebe der Rebe für den jeweiligen Boden und mikroklimatische Bedingungen.
Was die Flaschenetiketten des Weinguts angeht, so erscheint es erst einmal verwegen, mit einem großen schwarzen Wolf an den Standort anzuknüpfen. Wer mag schon Tiere auf einem Weinetikett. Doch die offizielle Erklärung überzeugt: Der Wolf charakterisiert den Winzer: Neugierig, jedoch eher scheu im Sinne von unaufgeregt kennen Wölfe jedes Fleckchen Erde, jeden Stein in ihrem Revier. Spüren, wann es kälter wird und ob es bald regnet.
Wir konnten neun Weine des Weinguts Bernhard verkosten.
2015 Erfrisch Dich Rosé trocken Gutswein
2015 Riesling trocken Gutswein
Noch ein Wein für die Terrasse und für vielfältige Geschmäcker. Er bietet gelbfruchtige Aromen von gelben Äpfeln wie etwa der alten Sorte Limonen-Renette oder auch dem Südtiroler Gelben Fritz. Daneben gibt es Zitrus- und Aprikosenaromen zu schnüffeln, alles korrekt sortentypisch. Im Geschmack kommen zu den gelben Früchten eine leichte Würze und eine winzige Nussigkeit hinzu und eine feine mineralische Note. Der Wein scheint viel vom St. Johanner terroir mitzubringen. Die markante Säure überzeugt mit einem fruchtigen, süffig-herben Charme und burschikoser Herzlichkeit. Im Abgang meinen wir noch etwas Mango zu entdecken. Das ist ein Sofortwein – sofort trinkbar und auch im Sturztrunk noch geschmackvoll.
2015 Weißer Burgunder trocken Gutswein
Wem der Riesling trocken Gutswein zu energisch ist, kann aus der Gutsweinlinie den Weißen Burgunder vorziehen, der eine feinere Säurestruktur aufweist. Er duftet frisch, ausgeglichen und fruchtig. In der sensitiven Fruchtskala schmecken wir große gelbe Pflaumen, Äpfel der klassischen Sorte Cox Orange und Birnen der Sorte Alexanderbirne. Ergänzt wird unser langes Schmatzen mit Nuancen von Mandeln und Apfel-Minze. Der Wein beeindruckt zudem mit einer für die Einstiegsklasse erstaunlichen Tendenz zur Harmonie. Ein echter Sommerwein mit einem Eindruck von gefälliger Fruchtmelange und anregender Frische.
2015 St. Johanner Kalkmergel Scheurebe trocken Ortswein
Kalkmergel ist ein verfestigtes Sedimentgestein, das zu etwa 65 % aus Kalk und 35 % Ton zusammengesetzt ist. Den Weinbergen droht hier kein saurer Boden, sie können das Wasser gut halten, wenn auch nicht tiefgründiger speichern. Der Kalkgehalt des Bodens ist generell eine sehr wichtige Einflussgröße auf den Geschmack und den Charakter des Weins.
2014 Wolfsheimer Silvaner Kalkmergel trocken Ortswein
2014 Wolfsheimer St. Katrin Silvaner trocken Lagenwein
Silvaner als Lagenwein ist eine großartige Herausforderung, weil die Trauben typischerweise ein Abziehbild ihres terroirs sind, was man sich im Keller durchaus zu Nutzen machen kann. Das Resultat der intuitiven und fantasievollen Wagnisse von Martina Bernhard muss man bewundern.
Fangen wir mal an: Die Trauben landeten schon mal nicht sofort in der Presse, sondern durften einen Monat lang in der Maischegärung die Sau bzw. die Aromen rauslassen. Im Zuge des weiteren Ausbaues kam der Most für sechs Monate ins Halbstück. Die Skalierung musste sehr feinfühlig durch das Hefelager und die Temperatursteuerung erfolgen. Der Preis der Reduzierung des Restzuckers auf sensationelle 1% war ein Volumenalkoholgehalt von 13%. Gleichwohl hat man nicht den Eindruck, ein Alkoholbömbchen im Glas zu haben. Im Gegenteil, hier ist der Alkohol durch die Säure und die ausgeprägten Fruchtaromen zu einer angenehmen Textur eingebunden und verstärkt einen schier unendlichen, im wahrsten Sinne des Wortes vollmundigen Abgang.
Um vielleicht doch noch den ersten Eindruck zu erwähnen, sei auf die stürmische Nase hingewiesen. Alle wollen zuerst rein: die kleinen gelben Pflaumen, die grünen Äpfel, diverse Kräuter, reife Birnen, getrocknetes Heu, Wallnüsse, reife Papaya und eine kleine Stachelbeere. Am Gaumen überraschen Fruchtigkeit, herrliche, dezente Holznoten und freundlich drängelnde Gerbstoffe. Manchmal glaubt man, dass der genetische Traminerursprung vorbeihuscht. Andererseits erscheint der Wein aufgrund seines stützenden Säuregerüsts, einer überraschend deutlichen Mineralität und eines kleinen Dashs von frisch gepresstem Orangensaft fast gradlinig, klar und frisch. Das ist ein eindringlicher Wein zu einem leckeren Fasan aus dem Rohr. Man kann mit ihm aber auch einen ganzen Abend schlöckenweise gestalten. Aber lassen Sie das Auto stehen.
2014 Wolfsheimer Osterberg Riesling trocken Lagenwein
Belassen Sie bei der Wahl der passenden Speise diesem vorzüglichen Riesling seinen Charakter und erschrecken Sie ihn nicht mit den üblichen Verdächtigen. Erfreuen Sie sich und den Wein lieber einmal mit einem edlen Hummercocktail auf Orangen-Chicoréesalat.
2015 Gewürztraminer Auslese edelsüß
Im Glas funkelt der Wein goldgelb mit hellen Reflexen. Es entfaltet sich eine Aromen-Orgie, die wir genüsslich in Nase und Mund einziehen lassen. Zuerst sind Rosen und Veilchen da, dann kommen Litschis, Orangengelee, Akazienhonig, Zimt und Kardamon. Der Geschmack intensiviert einige der Aromen noch, dazu erinnern wir Marzipan und kandierte Weintrauben. Die Säure dieses Weines ist gar nicht so gering, kommt aber im edelsüßen Bereich gegenüber dem Restzucker kaum zum Zuge.
Diese Auslese ist üppig und süffig, leidenschaftlich und verführerisch. Sie kann die Geheimwaffe für trostlose Tage sein, aber viel schöner noch der Solist für den Tagesausklang am Kamin oder der Animateur für endlose Sommernächte. Wer es wieder einmal wissen will: Bitte keinen Blauschimmel, bitte keine Chinapfanne und auch keine Mousse au chocolat oder au sonstwas. Probieren Sie eher ein Gläschen Gewürztraminer Auslese edelsüß zu einer Pâté de foie gras mit einem selbst gebackenen Brioche. Im Übrigen empfiehlt es sich, so viele Flaschen anzuschaffen, dass man die nächsten fünf bis acht Jahre regelmäßig mit Spannung und Freude die interessante Entwicklung dieser lagerungsfreudigen Auslese verfolgen kann.
2011 St. Laurent vom Kalkmergel trocken
Im Keller haben die Bernhards ihren St. Laurent einen Monat auf der Maische vergoren und zwei Jahre ins Barrique gelegt, was ihm stets gut gefällt. Dort hat er einige schöne Pinot-Noten bekommen. Im Glas sehen wir einen granat- bis violettrot schimmernden, dichten Wein. Er entwickelt in der Nase kraftvolle Aromen von Roten und Schwarzen Johannisbeeren, frühreifen Zwetschgen und Schattenmorellen. Am Gaumen treffen die Aromen vollfruchtig mit herzlicher Würze zusammen, zudem lässt eine kleine Ecke dunkle Schokolade grüßen. Die Säure erscheint sehr zurückhaltend, dafür sind die Tannine deutlicher, aber nicht rau. Das Holz ist angemessen vertreten und hat dem Wein eine schöne Eleganz und Trinkreife verschafft. Ein körperreicher, aromatischer und harmonischer Wein. Er macht sich adrett zu gutbürgerlichen Rinderrouladen, aber auch zu einem Fast-Food Salamibaguette.
Im Hörerlebnis stellt Martina Bernhard sich und das Weingut vor.
HÖRERLEBNIS mit Martina Bernhard