An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Das Weingut Philipp Grassl: Weine zum Staunen aus dem Carnuntum
12. August 2017
Rund 20 Autominuten östlich von Wien, gleich hinter dem Flughafen Schwechat, beginnt ein Weinanbaugebiet, das gleich zweierlei Schätze zu bieten hat: Die einen stecken im Boden und stammen als gegenständliche Kulturgüter aus der Römerzeit, die anderen stehen als Rebstöcke auf dem Boden und dehnen sich in rund 900 Hektar Weingärten aus: Das Carnuntum ist ein eigenständiges Weinanbaugebiet in der Region Niederösterreich, das bis an die Grenze zur Slowakei reicht und südlich der Donau liegt. Im Norden befindet sich das Weinviertel, im Süden die Bereiche des Neusiedlersees und im Westen die Thermenregion bzw. Wien. Die Rebgärten dehnen sich über drei Hügellandschaften aus: das Leithagebirge, das Arbesthaler Hügelland und die Hainburger Berge. Den Namen erhielt das Weinbaugebiet Carnuntum von der Hauptstadt der römischen Provinz Ober-Pannonien, die um Christi Geburt in Höhe des heutigen Petronell bzw. Bad Deutsch-Altenburg lag.
Erst 1993 wurde das Carnuntum als eigenständiges Weinbaugebiet vom Donauland – den späteren Gebieten Traisental und Wagram – abgetrennt. Seitdem hat es sich als Herkunftsgebiet für große Weinqualitäten, vor allem im Rotweinbereich, international wahrnehmbar gemacht. Eine neue Winzergeneration, die innovativ und bemerkenswert solidarisch arbeitet und von Anfang an Vorzeigeweine mit regionalen und internationalen Eigenschaften anstrebte, hat es geschafft, binnen zwei Jahrzehnten Spitzenplätze im österreichischen Qualitätsrotwein zu belegen.
Zu diesen Weingütern gehört das Weingut Philipp Grassl in der 900-Einwohner-Ortschaft Göttlesbrunn, fast mittendrin im Carnuntum im sanften, an sich sensationslosen Arbesthaler Hügelland. Hier gibt es noch wirkliche Ruhe, die echte Sommerfrische, eine authentische Nähe zur Natur, die es als überflüssige Torheit erscheinen ließe, würde man die Weine dem Zeitgeist anpassen, anstatt die Bodenständigkeit als Alleinstellungsmerkmal zu nutzen.
Das im Carnuntum berühmte heiß-kontinental-pannonische Klima konkretisiert sich im Arbesthaler Hügelland auf ausgleichende Luftströmungen aus dem durch das Leithagebirge getrennten Becken des Neusiedlersees und aus den frisch-würzigen, kühlenden Luftmassen, die von den nördlichen Donau-Auen und der großen Fläche des Maria Ellender Waldes stammen. Die Brucker Pforte, der Einschnitt zwischen Alpen und Karpaten, bewahrt das Gebiet von den oft aus Westen kommenden schweren Niederschlägen. Ähnlich wie in den generell klimatisch begünstigten Landschaften südlich des Alpenhauptkamms starten die Reben im Carnuntum frühzeitig mit dem Wachstum, blühen in den ersten heißen Tagen im Mai, tanken mit dem Regen im Frühsommer reichlich auf und haben im trockenen Spätsommer und Herbst jede Gelegenheit, zur Vollreife zu gelangen. Darüber freuen sich besonders die spätreifenden roten Sorten wie Blaufränkisch, Pinot Noir oder Cabernet Sauvignon.
Zum Weingut gehören inzwischen rund 25 Hektar Rebfläche in den Rieden Schüttenberg, Bärnreiser, Neuberg, Rosenberg, Rotenberg, Kräften und Aubühel. Schon seit den 90ern hat das Weingut sich von den meisten Betrieben des Carnuntums abgesetzt, indem es die Weine lagenrein ausgebaut hat, um im Wein ganz spezifisch den Charakter der Lage in Verbindung mit der gepflanzten Rebsorte zu erfassen. Insofern hat es schon einiges von dem vorweggenommen, was seit der Änderung des österreichischen Weingesetzes 2016 langsam zum Tragen kommt.
Die langjährige Fokussierung auf schnörckellose Qualität bringt dem Weingut und seinen Weinen mit jedem neuen Jahrgang Auszeichnungen und höchste Bewertungen bei Prämierungen, Verkostungen von Fachmagazinen oder vom Weinpapst Parker, der bei Grassls Rotweinen regelmäßig mehr als die magischen 90 Punkte vergibt und höchsten Lobes ist. Der zutiefst beeindruckende Erfolg der letzten Jahre waren für Familie Grassl und die Fachwelt sicherlich 2014 der Titel im Falstaff-Wettbewerb "bester Zweigelt und beste Rotweincuvée Österreichs", aber auch die Einstufung, dass seine Weine zu den "100 besten Weinen Österreichs" gehören. Schon 2007 war Grassls Bärnreiser 2005 zum zweiten Falstaff-Sieger aus der Auswahl der besten 1.500 Rotweine Österreichs gekürt worden. Der St. Laurent Reserve 2012 holte sich 2014 den Sieg in der großen St. Laurent-Verkostung von Meiningers „Sommelier“-Magazin. Philipp Grassl ist der Winzervereinigung „Rubin Carnuntum“ aktiv verbunden und engagiert sich intensiv bei der „Carnuntum Experience“, den zahlreichen Inszenierungen aus dem Weinbau, der Küche, der Natur und Kultur rund um das Thema Wein.
Wir konnten sechs Rotweine des Weinguts Philipp Grassl verkosten.
Rubin Carnuntum 2015
Die Trauben für Grassls Rubin Carnuntum 2015 stammen aus 7 bis 45jährigen Reblagen mit lehmig-schottrigen Lößböden. Sie sind Ende September 2015 handgelesen und wurden in zwei Abschnitten selektiert. Mit einer Maischestandzeit von 16-19 Tagen und manuellem Überfluten und Tauchen des Tresterhuts wurde bei maximal 30 °C im Edelstahl vergoren. Es folgte die malolaktische Gärung und die Reifung in 10% neuen und gebrauchten Barriques und 500l-Fässern. Geklärt wurde allein durch schonendes Umziehen und Sedimentation. Der Wein reifte noch bis zu seiner Abfüllung im August 2016.
Der Grassl Rubin Carnuntum 2015 funkelt im Glas tiefdunkel in Richtung eines kräftigen Granatrots mit einem violetten Schimmer. Erstes, sofort erschnüffelbares Merkmal ist die präsente Kirschfrucht, die von roten und schwarzen Beeren wie Brombeeren und Waldheidelbeeren begleitet wird. Dazu machen sich schöne Röstaromen bemerkbar, auch etwas Kardamom und ein Hauch lieblicher Würze aus der Weihnachtsbäckerei. Im Mund tritt ein dichter, mächtig fruchtiger Wein mit animierender Extraktsüße auf, frische, schwarze Kirschen, rote Beeren, etwas dunkler Tabak, eine Spur Noisette-Schokolade und eine feine, unaufdringliche Würze aus dem Holz. Die Tannine sind feinkörnig und im Gegensatz zu etlichen anderen Rubin Carnuntums der Winzervereinigung angenehm schmackhaft und nicht zu straff. Eine lebendige Säure und eine delikat-salzige Mineralität stabilisieren den langen, seidigen und herrlich fruchtigen Abgang. Ein saftiger und geradezu frischer, vielschichtiger und körperreicher Zweigelt, der einen vielversprechenden Einstieg in Philipp Grassls Weinsortiment bietet. Trotz seines Entwicklungspotenzials genügt er schon jetzt jeder Gelegenheit und vermittelt Freude am Rotwein. Gut macht er sich zu kräftigen Pastagerichten verschiedener Provenienz, erst recht zu einem würzigen Rindsgoulasch.
Ried Schüttenberg 2015 Zweigelt
Im Glas sieht man die typische Farbgebung des Zweigelts: dunkles Rubingranat mit violetten Reflexen. In der Nase treffen wir die sortentypischen Aromen von schwarzen Knorpelkirschen und schwarzen Beeren, also Brombeeren und einigen Schwarzen Johannisbeeren, aber auch kräftige Töne von dunklen, reifen Zwetschgen, umrahmt von einer feinen mineralischen Würze und von Röstnoten. Auf der Zunge tanzen Weichselkirschen und Brombeeren herum, abgerundet durch Noten von dunklem Tabak und Mokka. Die gegenwärtigen Tannine und die aktive Säure sind gut aufeinander abgestimmt, so dass keine Aggressivität aufkommt. Stattdessen sorgen die Minerale für Akzente und stützen einen saftigen, würzigen und kernigen Abgang mit angenehmer Süße aus dem kräftigen Extrakt. Es ist ein fülliger Wein voller Spannung, der schon jetzt auf dem besten Weg zu einem besonders feinen, eleganten und vielschichtigen Zweigelt ist. Lassen Sie diesen Zweigelt eine österliche Lammkeule aus dem Rohr oder einen großformatigen Rinderschmorbraten begleiten. Und verkosten Sie ihn unbedingt einmal zu einem bayerischen Blauschimmelkäse.
Sankt Laurent Alte Reben 2015
Der Sankt Laurent Alte Reben 2015 stammt zum großen Teil von über 50 Jahre alten Rebstöcken aus schottrig-kalkigen, exponiert sonnigen Parzellen in den Rieden Aubüheln und Scheibner, vor allem aber aus der Riede Bärnreiser, wo Familie Grassl die Rebstöcke für ihr Premiumsegment zu stehen hat. Hier stimmt offenbar alles, denn der St. Laurent liefert nicht wie anderswo nur ausnahmsweise, sondern ausnahmslos sehr gute bis spitzenmäßige Qualitäten. Wie auch andere der Spitzenweine des Weinguts wurde die Maische in Holzgärständern über drei Wochen bei 28 - 30°C vergoren, wobei der Tresterhut täglich mehrfach geflutet und untergetaucht wurde. Es folgte die malolaktische Gärung in neuen und vorbelegten Barriquefässern und in 500l-Fässern aus Burgund.
Das Glas tönt der St. Laurent deutlich stärker als ein Spätburgunder. Er entwickelt Aromen von schwarzen Kirschen und reifen Holunderbeeren mit Tönen von Veilchen und Mandeln. Am Gaumen kommt eine zarte, kühle, rotbeerige Fruchtigkeit gut an, Rote Johannisbeeren und Himbeeren sind dabei. Alles ist gut abgeschmeckt mit einer vornehmen Würze, die einerseits von Kräutern, andererseits diskret vom Holz gestützt wird. Im Finish zeigen sich die Tannine als fein, die Säure lebendig, der Alkohol moderat und die Frucht saftig. Ein ausgewogener Wein, dem die alten Reben einen subtilen mineralischen Extrakt verschafft haben. Zusammen mit dem erlaubterweise ergänzten kleinen Schuss Pinot Noir ist eine wahrhaft burgundische Textur entstanden. Genießen Sie diesen Wein ganz klassisch zu einem Hirschfilet, zu einem Bisonsteak oder als außergewöhnlichen Solisten.
Pinot Noir Reserve 2015
Der Reserve zeigt im Glas erstaunlich kräftige Farbnuancen von Karmin- bis zu Granatrot. Wir atmen tief durch und genießen all die sanften, beerigen Düfte des Waldes, also Waldhimbeeren, Waldheidelbeeren, Walderdbeeren, dazu einige Hagebutten von der Wiese und rote Blütenblätter aus dem Garten plus etwas Süßholz. Auch im Geschmackserlebnis überrascht die sanfte rote Fruchtigkeit und frische Saftstruktur mit ihren klaren Tanninen, mit einer gut untergebrachten Säure und mit gewissen Rauch-, Zitrus- und Gewürznoten. Er hat den Nachklang eines leichten, aber durchaus komplexen Burgunders, der zu immer neuen Schlucken animiert und den man immer weiter zu entdecken scheint. Gönnen Sie sich den eleganten Burgunderglanz zu einer festlichen Mahlzeit, gerne auch zur urdeutschen Weihnachtsgans.
Neuberg 2015 Zweigelt Blaufränkisch Merlot
Der Wein duftet ungemein lebendig aus dem Glas: Dunkle und rote Waldbeeren, reife Zwetschgen und Backpflaumen, einige Gewürznelken und etliche andere Gewürze nebst Nougat, abgerundet mit einer kühlen, leicht toastigen Holznote, die an die Würze anknüpft, sich aber niemals in den Vordergrund drängelt. Das ist mitnichten ein Holzmonster, auch nicht im Geschmack. Schließlich erfolgte die Maischegärung im Edelstahl, erst für den Abbau bzw. die Umwandlung der Äpfelsäure kam der Wein in 50% neue und 50% gebrauchte kleine Holzfässer.
Im Geschmack dominieren Beeren und Kirschfrucht, eingebunden in eine geheimnisvolle Würze ohne Schärfe. Der Merlot hält die anderen beiden Rebsorten in Schach und gibt dem im Körper dichten und kräftigen Wein einen gewissen leichtfüßigen, charmanten Charakter, der die Trinkfreude ungemein steigert. Der Wein ist im Abgang schön stoffig mit deutlichen Tanninen, einer herrlich präzisen Fruchtsüße, gut verpackten Säure und einem Hauch von Schokolade. Bei der mit etwas mehr als 5 % auf den ersten Blick knackigen Säure handelt es sich nach dem biologischen Säureabbau aber fast nur noch um die mildere Milchsäure, so dass die Prozente keineswegs einen von Äpfelsäure gestählten Wein abbildet. Das klingt alles nicht nur nach Harmonie, sondern schmeckt auch so. Der Neuberg 2015 Zweigelt Blaufränkisch Merlot ist ein markanter Solist für einen geruhsamen Abend, aber auch ein verlässlicher Partner für einen langsam gebratenen Rehrücken an Preiselbeersoße.
Ried Bärnreiser 2015 Zweigelt Merlot Blaufränkisch
Der Wein imponiert durch eine wunderbare Struktur und Finesse. Schon in der Nase ist er erstaunlich ausbalanciert zwischen Kräuterwürze, schwarzen Beerenfrüchten, Cassis, Dörrzwetschgen und einem Hauch Nougat mit einem winzig rauchigen Touch. Im Mund macht er richtig Druck mit seinem strammen Körper. Er zeigt offensiv seine kompakten Tannine, präsentiert eine schöne Kirschfrucht, dazu Rote und Schwarze Johannisbeeren und grüßt vorsichtig mit dunkler Schokolade. Im fruchtigen Nachhall zeigt er eine gewisse Frische aus leicht salziger Mineralität und einen Zitrustupfer. Die Holznote ist nicht überbetont, sondern verfeinert die Aromatik und den Geschmack. Unter dem noch jugendlichen Ungestüm verbirgt sich die Kraft einer großen Klasse. Ein charaktervoller, verlockender Rotwein mit einer Ausstrahlung, die nach der Dekantierung zwei Stunden später noch an mineralischer Tiefe und aromatischer Expression gewinnt. Erschrecken Sie mit dieser Kostbarkeit bitte keine Pasta – ihm gebührt mindestens eine Rindsroulade mit gebutterten Nockerln oder ein üppig mit Rosmarin, Thymian und Salbei gewürzter Lammbraten mit Knödeln. Oder gönnen Sie sich und dem Wein einen eleganten Auftritt für einen Verwöhnabend. Übrigens – in fünf Jahren wird Ihnen eine weiche Fülle mit seidigen Tanninen bei ungezügelter Kraft begegnen. Das ist ein Wein für jahrelange Ewigkeiten.
Im Hörerlebnis stellt Philipp Grassl sein Weingut und seine Weine vor.
HÖRERLEBNIS mit Philipp Grassl
Fotos: © Weingut Philipp Grassl