An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Das Weingut Il Girasoli di Sant'Andrea: Excellente Weine aus Umbrien
24. September 2018
Umbrien liegt gleichsam in der Mitte von Italien zwischen Florenz und Rom: Es ist das fruchtbare, wasserreiche grüne Herz Italiens, ein landwirtschaftliches Gebiet, berühmt für Olivenöl, Getreide, schwarze Trüffel und Wein. Es ist die einzige italienische Region ohne Küstenlinie oder internationale Grenze. Im Westen in Richtung der tyrrhenischen Küste erstrecken sich die Toskana und Latium, im Osten grenzt Umbrien in Richtung der Adriaküste an die Region Marken an. Mittelalterliche Städte wie Città di Castello, Perugia, Assisi, Spoleto oder Montefalco thronen auf Kalkfelsen über dem breiten Tal des Flusses Tiber.
In der Mitte eines gedachten Dreiecks zwischen Florenz, San Marino und Perugia liegt der kleine Ort Umbertide. Wir sind in dem Teil von Umbrien, der der Toskana am nächsten liegt, ein paar Hügel vom Trasimenischen See entfernt. 217 vor Christus wurden hier in einer blutigen Schlacht die Römer von Hannibal besiegt. Fährt man von Umbertide die Staatsstraße durch das Niccone-Tal, ein Seitental des Tibers, zum Lago Trasimeno, kommt man durch das Dörfchen Molino Vitelli. An einer Kreuzung weisen Schilder zu einem Weingut: Il Girasoli di Sant'Andrea.
1996 zog Carlo Massimilliano Gritti zusammen mit seiner Frau Ursula ins Niccone Tal und kaufte ein Haus, genannt Ca'Andrea, zu dem ein Bauernhof mit einigen verlassenen Wirtschaftsgebäuden und ein alter Weinkeller gehörten. Das Anwesen umfasste 120 Hektar Land, darunter war ein 3 Hektar großer Weinberg mit Sangiovese, Colorino und Merlot aus den 1960er Jahren. Bald halfen Bauern aus der Nachbarschaft den Grittis, den ersten Wein zu machen: Das Wein- und Landgut I Girasoli di Sant'Andrea, übersetzt die Sonnenblume, wurde gegründet und begann professionell zu arbeiten. Neben der Erzeugung von Wein wurde von 10.000 Olivenbäumen das hochwertige Bio-Olivenöl „extra vergine Umbria“ hergestellt, verschiedene Gemüsesorten wurden angebaut und berühmte Rinderrassen wie Chianine und Limousine gezüchtet, die im Sommer auf dem Monte Tezio weideten.
Schon 1997 bepflanzten die Grittis weitere 2 Hektar Weinberge mit der von ihnen geliebten, aber höchst empfindsamen Rebsorte Pinot Noir und vor allem mit Sangiovese. Von 1998 bis 2008 wurden dann alljährlich immer mehr Weinberge hinzugekauft und bestockt – schließlich kam das Weingut auf 40 Hektar Rebfläche. Carlo Gritti hatte sich den berühmten Önologen Andrea Paoletti als Berater ins Weingut geholt, der mit dem Jahrgang 1999 begann, grandiose Weine zu kreieren. Im Jahr 2000 wurden erstmals Flaschenweine abgefüllt. Als Carlo Massimilliano Gritti 2006 überraschend verstarb, war es für seine Ehefrau Ursula nicht einfach, das Landgut durch die damals schwierigen wirtschaftlichen Zeiten zu bringen. 2009 holte sie sich Hilfe und Rat von dem Önologen und Agronomen Riccardo Cotarella. Im Jahr 2011 verkaufte sie die Rinderfarm und verpachtete das 2005 eröffnete Restaurant, das 2013 Simone Corsetti übernahm. Heute führt Ursula Gritti Schindler das Weingut mit Unterstützung ihrer Kinder, Andrea und Pilar.
Die Flaschenweine des Weinguts sind alle als IGT Umbria (Indicazione Geografica Tipica) eingestuft, jährlich werden rund 280.00 Flaschen abgefüllt. Wie viele andere Weingüter, insbesondere auch in der benachbarten Toskana, entzieht man sich mit der IGT-Klassifikation dem strengen Disziplinare der hier möglichen DOC Colli Alto Tiberini, weil Kreativität im Portfolio als wichtiger angesehen wird, zumal die Weine der DOC Colli Alto Tiberini aus dem Oberen Tibertal bislang keine besondere Bekanntheit oder Berühmtheit genießen. Neben der IGT Umbria gibt es übrigens noch einige lokale IGTs wie Allerona IGT, Bettona, IGT, Cannara IGT, Narni IGT und Spello IGT.
Die Weinlese erfolgt bei den Grittis per Hand, die Trauben werden in 25 kg-Kisten in den 2002 erbauten Keller transportiert und dort zum zweiten Mal selektiert. Die Weine des Weinguts werden in zwei Linien angeboten: acht Weine in der Linie I Girasoli di Sant'Andrea und 5 Weine in der Linie Carlo Massimilliano Gritti. Nach wie vor steht die Philosophie von Carlo und Ursula Gritti hinter dem Weingut: Respekt für das Terroir und für die Arbeit der Menschen, Verzicht auf umweltgefährdende önologische Praktiken und Konzentration auf hochwertige Weine, die ihre umbrische Herkunft erkennen lassen.
Wer die Girasoli di Sant'Andrea besucht, findet einen gemütlichen Verkostungsraum und großen Picknickplatz vor. Der richtige Ort für ein unvergessliches Essen ist jedoch das Restaurant Girasole Sant'Andrea oberhalb des Weinguts. Hier werden nicht nur die Antipasti noch selbst gemacht: Der neue Inhaber Simone Corsetti bietet authentische und lokale umbrische Küche an nach Maßstäben von Slow Food.
Wir konnten sechs Weine aus den beiden Linien des Weinguts verkosten.
Trian 2016 IGP Umbria
Der Wein ist eine Reminiszenz an Trian Gritti, Admiral der venezianischen Flotte, der um 1470 herum die venezianische Seemacht gegen die Ausdehnung der Herrschaft des osmanischen Sultans Mehmed II im Mittelmeer verteidigte.
Friulano ist übrigens erst seit 2008 der Name für die als Tocai bekannte weiße Rebsorte aus dem norditalienischen Friaul. Aufgrund der Verwechslungsgefahr mit dem ungarischen Tokajerwein aus der Rebsorte Furmint wurde die Tocai Friulano durch die EU in „Friulano“ umbenannt. Die Grechetto wiederum ist die autochtone Sorte Grechetto di Orvieto, die im Norden Umbriens leicht mit dem nicht einmal verwandten Grechetto di Todi verwechselt wird. Grechetto wird reinsortig traditionell allenfalls zu Süßweinen ausgebaut, ansonsten jedoch als fruchtbetonte Cuvéesorte verwendet.
Im Glas funkelt der Trian in einem hellen Strohgelb. Ein duftig-frisches Bukett von grünen Äpfeln, Birnen, Akazien, Heu, Minze und Mandeln entwickelt sich. Im Mund verbreitet sich eine überraschende Kraft und Energie – nichts für schwache Zungen. Zu der Apfel-Birnen-Aromatik kommen Zitrusfrüchte, Litschis, Aprikosen, dezente pflanzliche und blumige Komponenten und ein kleiner Pfirsichton hinzu. Eine lebendige, durch den Friulano gut ausbalancierte Säure und eine warme Kräutrigkeit verbinden sich mit der leichten Mineralik. Alles zusammen begleitet die Fruchtigkeit mit Frische und Saft. Im langen Abgang taucht eine winzige Marzipannote auf, die die Würze des Weins lecker abrundet. Das ist ein kräftiger, frischer umbrischer Allrounder, der nicht nur den Sommer, sondern auch ein Meeresfrüchte-Risotto noch schmackhafter macht.
I Girasoli di Sant’Andrea 2015 IGT Umbria Rosso
Der Wein zeigt sich im Glas in einem dunklen Rubinrot. Er präsentiert sich mit einer fruchtigen Nase von blauen und roten Früchten wie Kirschen, Brombeeren und Schwarze Johannisbeeren, dazu ein großer Strauß Gewürze. Am Gaumen wollen schon mit dem ersten Schluck die intensiven Fruchtnoten wieder dabei sein. Sie sind gut integriert in dem dichten Volumen, das keinesfalls aufdringlich wirkt. Erstaunlich sanft treten die Tannine auf: Der Merlot hat den Sangiovese-Anteil streng gezähmt. Die aggressionsfreien Gerbstoffe tragen zusammen mit der präsenten, aber feinen Säure den saftigen Nachhall. Servieren Sie diesen authentischen Roten aus Umbrien zu einer Lammkeule mit Kartoffel-Tomaten-Zucchini-Gemüse oder zu Pasta mit Oliven und Pilzen.
Syrah 2015 IGP Umbria
Natürlich ist der Syrah auch in Umbrien eine intensivfarbige Sorte, die das Glas rubinrot mit violetten Reflexen ausfüllt. In der Nase tummeln sich starke, komplexe Aromen von schwarzen Früchten wie Schwarze Johannisbeeren, Heidelbeeren, Schwarzkirschen und milde Tönen von Zwetschgen und Veilchen plus pikante Nuancen von Pfeffer und Balsamico. Immer wieder weht ein zarter Vanille-Duft aus dem Glas. Im Geschmack powert der Syrah mit Extrakt und Körper herzhaft los. Die lebhaften Tannine und das Holz sind gut eingebunden, die fruchtige Aromatik wird ergänzt von Feigen, Süßholz und Tabak. Der Wein geht in ein opulentes Finish, das gleichwohl Eleganz vermittelt. Ein herrlich raffinierter, europäischer Syrah-Stil. Das ist der passende Wein zu einem Hasenbraten aus dem Ofen oder zu gutbürgerlichen Rinderrouladen.
Filare 78 2015 IGP Umbria
Angesichts der Allier-Eiche überraschen die Vanillenoten im Bukett nicht, sie arrangieren sich höflich mit Tönen von Kirschen, Veilchen, Heidelbeeren, Mokka und Süßholz. Die Aromatik ist herrlich komplex und verleitet zu tiefen Schnüffeleien. Wir schmecken spontan eine feine Würze, Frucht von blauen Pflaumen und eine dezente Note von Tabak und Mandeln plus eine winzige Prise Muskat. Der Wein hat ordentlich Gripp und eine markige Struktur, die von den aktiven, gleichwohl mürben Tanninen bestimmt wird. Sie sind offenbar durch die zusätzlichen Rebsorten so gut eingestellt, dass der Wein auch jung zu trinken ist. Im wärmenden Abgang bleibt er mit Frucht und Würze noch lange in Erinnerung. Das ist ein solider Meilenstein in jedem Weinkeller, der dort noch locker zehn bis fünfzehn Jahre liegen könnte. Doch zögern Sie nicht, den Wein schon jetzt zu einem T-Bone-Steak vom Grill oder einer Platte mit diversen Salami-Sorten und luftgetrocknetem Rohschinken zu reichen.
Ca' Andrea 2015 IGP Umbria
Das ist der fruchtig-süffige Rote der Familie Gritti, der mit herrlichem Trinkfluss jederzeit für gute Laune sorgt. Im Glas bemerkt man sofort seine extreme Farbintensität. In der Nase begeistert eine leicht schwebende Fruchtigkeit, die aber keine grünen Anklänge hat, sondern Reife ausstrahlt, die von Gewürzen unterstützt wird. Wir entdecken obendrein Spuren von Himbeeren, Süßkirschen und frischer Minze. Am Gaumen melden sich zwar deutlich die Sangiovese-Tannine, sie sind aber samtig zurückhaltend dank der Canaiolo Nero, die bekanntlich die Sanftheit in Person ist. Der Wein bildet auf der Zunge eine schöne Rotfruchtigkeit ab, zu der sich im Finish Eindrücke von Leder und leicht erdiger Wärme gesellen. Der Edelstahl-Ausbau hält trotz malolaktischer Gärung die Säure quicklebendig. Sie vermittelt dem vollmundigen Wein eine animierende Frische und eine scheinbare Leichtigkeit. Ideal zum Käse-Gang in einem Menü oder zu einem Fasan-Gericht.
Il Doge 2010 IGP Umbria
Il Doge glitzert rubinrot im Glas und imponiert mit einem unwiderstehlichen Eindruck von Eleganz. Floral darf es sein mit blauen Irisblumen, Erdbeeren und Kirschen, begleitet von einem balsamischen Tupfer. Der Gaumen wird gestreichelt von seidigen Tanninen, einer abgerüsteten Säure, perfekt integriertem Holz mit Vanilleklang und einer kraftvollen, dennoch runden Textur. Im anhaltenden Finish kommt seine ausgewogene Balance gut herüber. Ein energischer, komplexer und höchst eleganter Wein auf hohem, internationalen Niveau, der in einer Reihe mit den legendären Super-Tuscans steht , warum also nicht ein Super-Umbria.
Ursula Gritti Schindler stellt im Hörerlebnis Il Girasoli di Sant'Andrea vor.
Fotos: © : Il Girasoli di Sant'Andrea
HÖRERLEBNIS mit der Inhaberin Ursula Gritti Schindler