An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Das Weingut Brüder Dr. Becker in Rheinhessen: Biodynamischer Weinbau mit Terroir-Weinen höchster Qualität
18. Juni 2024

Als Maurermeister Franz Becker sich Ende des 19. Jahrhundert ein kleines Weingut zugelegte, war das Grundstock für den Schritt zum größeren Betrieb, den seine Söhne, die beiden Brüder Dres. Becker, dann Anfang des 20. Jahrhunderts als Nebenerwerbsbetrieb immer weiter ausbauten. Johann, der jüngere Bruder, war Rechtsanwalt und von 1912 bis 1918 letzter Finanzminister unter dem Großherzog Ludwig in Darmstadt, später Reichstagsabgeordneter der DVP und 1922/23 Wirtschaftsminister in Zeiten der Hyperinflation am Anfang der Weimarer Republik unter Reichskanzler Wilhelm Cuno. Jakob arbeitete als Arzt im hessischen Sprendlingen. Auch er wurde zweimal in den Reichstag gewählt. Die Brüder hielten das Erbe ihres Vaters zusammen und widmeten sich nach dem Zweiten Weltkrieg intensiv ihrem „Weingut Brüder Dr. Becker“. Es wurde nach ihrem Tod an die folgenden Generationen über Maria Eckhard-Becker und Tochter Hanni Pfeffer (geborene Eckhard und verheiratet mit Helmut Pfeffer) weitergegeben und wird heute in dritter Familien-Generation von dem nicht nur privat, sondern auch im Geiste ihres ganz besonderen Weinbaus glücklich vereinten Ehepaares Lotte Pfeffer-Müller und Hans Müller geführt. Ein eingespieltes Team im Weingut wird unterstützt durch Studenten und Schüler aus dem Kreis der Freunde und Familie und seit mehr als 20 Jahren durch Erntehelfer aus Polen.

Das Weingut Brüder Dr. Becker gehört heute zu den angesehensten Weingütern Rheinhessens und ist seit 1971 und damit seit bald 45 Jahren Mitglied des Verbands der Prädikatsweingüter VDP. Es ist zudem Gründungsmitglied und gehört seit über 30 Jahren dem Bundesverband ökologischer Weinbau ECOVIN an, der aus dem Aufbruch der Umwelt-, und Naturschutzbewegung der 70er und 80er Jahre entstanden ist und in dem Inhaberin Lotte Pfeffer-Müller einst als Vorstandsvorsitzende fungierte. Das Weingut lässt seine Weine zudem DEMETER zertifizieren: Sie sind seit 2008 nach DEMETER-Richtlinien erzeugt, die teilweise weitaus strenger sind als beim „normalen“ Ökoweinbau. Der Name steht für Produkte der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise und geht als älteste ökologische Form der Landwirtschaft auf Impulse von Rudolf Steiner vom Anfang des 20. Jahrhunderts zurück.
ECOVIN
Der ECOVIN Bundesverband Ökologischer Weinbau, dessen Vorsitzende Lotte Pfeffer-Müller vom Weingut Brüder Dr. Becker lange Jahre war, wurde 1985 als größter Zusammenschluss ökologisch arbeitender Weingüter in Deutschland gegründet. Heute ist ECOVIN der größte Zusammenschluss ökologisch arbeitender Weingüter weltweit. Etwa 200 zertifizierte Mitgliedsbetriebe bewirtschaften derzeit rund 1.400 Hektar Rebfläche in 11 deutschen Anbaugebieten. Die Produkte der Mitglieder, die das Warenzeichen ECOVIN tragen, garantieren durch strenge, ständig aktualisierte und über die EU Vorgaben hinausgehende Verbandsrichtlinien besondere Qualität und ökologische Konsequenz.
ECOVIN Winzer leisten einen aktiven Beitrag zum Naturschutz: Sie schonen Boden und Wasser und bauen an einem gesunden Ökosystem im Weinberg. Indem sie Nützlinge fördern, begrenzen sie Schädlinge. Ökowinzer setzen auf den Kreislauf der Natur. Das kann man sehen, hören, riechen und schmecken, wenn man durch einen ökologischen Weinberg läuft. Die Vielfalt natürlicher Aromen eines blühenden Weingartens prägen den Wein auf vielfältige Weise. ECOVIN Weine versprechen einen besonderen Weingenuss mit raffinierten Geschmackserlebnissen, entstanden aus einer harmonischen Zusammenarbeit zwischen Winzer und Natur.


Schon 1978 wandte sich das Weingut Brüder Dr. Becker der ökologischen Bewirtschaftung zu, seit den 80er Jahren wird konsequent und wahrhaftig der ökologische Weinbau biodynamisch betrieben. Wahrhaftig heißt, dass der ökologische Weinbau und die Biodynamie nicht als Marketing-Sprechblase missbraucht, sondern sowohl als Anbau- als auch aus Ausbauphilosophie mit Überzeugung praktiziert werden. Brüder Dr. Becker zählt zu den Pionieren des ökologischen Weinbaus. Es ist das Weingut in Deutschland, das in ureigener Tradition beweist, dass ökologische Erzeugung hervorragende Qualitäten ermöglicht. Es war auch das erste VDP-Weingut mit Bio-Zertifizierung, inzwischen mischen mehr als 30 Betriebe beim VDP als in verschiedener Weise ökologisch bewirtschaftet mit. Gemäß den EU-Standards für den Anbau im Ökoweinberg tragen alle Flaschen des Weinguts Brüder Dr. Becker das grüne lindenblattförmige EU-Bio-Logo für Biowein.

Die Weine sind in die Qualitätspyramide des VDP eingestellt, darüber hinaus gibt es die neue Linie PURE mit Naturweinen, die jeder für sich eine besondere Entdeckung sind. Sie sind entsprechend der französischen Bezeichnung „Vin méthode nature“ oder „Vin naturel“ hergestellt – ohne Zusatz von Sulfiten d.h. Schwefel. Im Keller gibt es weder Entsäuerung und Nachsäuerung, weder Schönung noch Filtration. Alle Weine sind durchgegoren und haben die malolaktische Gärung, also den biologischen Säureabbau durchlaufen, der sie stabilisiert und harmonisiert. Nach dem Prinzip Battonage & sur lie ruhen sie lange auf der Hefe und nutzen die natürliche Trübung in der Flasche als Schutz vor Oxidation.
Lassen Sie sich bei einem Besuch des Weinguts von der Freundlichkeit, Gelassenheit und Energie von Lotte Pfeffer-Müller beeindrucken und genießen Sie eine Familie, die der überragende Erfolg ihrer Weine nicht in Überheblichkeit hat abheben lassen, sondern deren Bodenständigkeit und regionale Verbundenheit Ausdruck ihrer ökologischen Weinkultur ist.
Begegnen Sie Frau Lotte Pfeffer-Müller im Hörerlebnis. Sie stellt ihr Weingut vor, spricht über die Philosophie des ökologischen Weinanbaus, über bio-dynamische Weinbereitung und präsentiert ihre Weinlinien und einige Weine.
Wir konnten sechs Weine aus dem Weingut Brüder Dr. Becker verkosten.

2022 Riesling trocken VDP.Gutswein
Der Wein ist assembliert aus den Riesling-Trauben mehrerer Lagen der Rheinterrasse und des Rheintals, also von kalkigen und lössigen Böden.
Er entfaltet das gebietstypische Sortenbukett von Zitrusfrüchten, grünen Äpfeln und einigen weißen Pfirsichen mit einer winzigen floralen und vegetabilen Abrundung. Am Gaumen kommt ein energischer Frische-Allrounder an. Die feine, herbe und helle Fruchtigkeit von Grapefruit und Äpfeln und die pflanzlichen Nuancen mit den dezenten Gewürznoten bekommen eine winzige Gerbstoffspitze aufgesetzt. Die kleine, schicke Süßlichkeit wird von einer lebendigen Säure in den langen, leicht schmelzigen Abgang begleitet. Das ist der Riesling-Typ, der auf Qualitätsniveau das weltweite Aushängeschild für Rheinhessen ist, typisch und traditionell. Natürlich können Sie ihn als adretten, süffigen Partywein einschenken, der sogar notorische Biertrinker neugierig macht. Er schmeckt aber auch zu einem knusprigen Maishähnchen mit Stampfkartoffeln oder einem Meeresfrüchte-Risotto.
2023 Grüner Silvaner VDP.Gutswein

Mit einem zarten Hellgelb steht der Wein samt seinen 12,5 Volumenprozent Alkohol im Glas. Er verbreitet leichte vegetabile Aromen und Ahnungen von Wiesenkräutern, die mit gelben Früchten wie Äpfeln und Birnen, einem nussigen Hintergrund und einem Hauch Zitrus angereichert sind. Am Gaumen kommen sortentypische Töne an, etwas Pflanzliches mit Gras und Kräutern, etwas grünes Gemüse wie junge Erbsen, etwas zarte gelbe Frucht. Später kommt dann auch der erwartete kleine Tick Erdigkeit hinzu, den wir bei keinem Silvaner vermissen möchten, verleiht er ihm doch den ureigenen Charakter vom Terroir und Rebstock. Der Brüder-Dr.-Becker-Silvaner kommt mit einer durchaus diskreten aber angenehm frischen Säure daher, offenbar hat er vom Verwitterungsanteil der Böden profitiert. Das unaufgeregte Zusammenspiel mit einer gewissen feinen Süße steigert Frische und Schmackhaftigkeit und sorgt für einen guten milden Abgang. Es ist keine Überraschung, dass der Wein perfekt in den Frühling und hier zum Spargel passt, aber er steht auch einem gedünsteten Heilbuttfilet oder einer portugiesischen Bacalhau-Pastete zur Seite.
2023 Souvignier gris VDP.Gutswein

Der Wein entfaltet im Glas ein zartes Bukett: ein wenig Äpfel, einige Birnen und Mirabellen und Düfte von Aprikose und Nüssen mit einer leicht vegetabilen Spur. Im Mund tritt er leichtfüßig und charmant auf. Die dezente Säure fördert den fast schon komplexen und teilweise schmelzig süßlichen Fruchteindruck von Äpfeln, Birnen und einigen Maracujas und gibt dem Wein Frische. Im Finale kommen seine sortentypischen Tannine deutlich heraus, sind aber gut gezähmt durch die dichte und gleichwohl filigrane Textur des Weins. Der Souvignier gris unterstützt beim Pairing etliche Geschmacksrichtungen, insbesondere leichte Pasta und einen klassischen Schweinebraten. Es funkelt im Glas aber auch als der gefällige und doch extravagante Sommerwein für alle Weißwein-Gäste.

2022 Dienheim Riesling trocken VDP.Ortswein
Dieser Ortswein aus dem nördlich von Ludwigshöhe an Oppenheim angrenzenden Dienheim stammt aus kalkreichen Lösslagen des Weinguts. Die Trauben wurden spät gelesen, im Keller reifte der Wein nach der Spontanvergärung des Mostes in 600 l Holzfässern mit Bâtonnage, also dem ständigen Aufrühren des Hefesatzes.
Der Wein öffnet sich im Glas mit Düften von reifen Mirabellen und Honigmelone mit floralen Tönen und nussigen Anklängen. Im Mund treffen wir wieder auf Mirabellen, aber auch auf Honigmelonen, grüne und gelbe Äpfel und einen Touch von Kräutern und einigen Nüssen mit einem Hauch Karamell – zärtlich grüßt das Holz. Die feinen Fruchtaromen verdichten sich mit einer feinen Mineralität, einer festen Struktur und der aktiven, aber reifen Säure zu einem kräftigen, fruchtig-saftigen und langen Abgang. Wenn Sie nett sein wollen zu dem Wein, so bieten Sie ihm eine in der Pfanne gebratene Dorade oder einen deftigen Zwiebelkuchen an.
2021 Dienheimer Falkenberg Riesling VDP.Großes Gewächs

Vornehm zurückhaltend verströmt das Große Gewächs leicht pflanzliche und pikant würzige Aromen sowie Töne von Grapefruit, Ananas, Zitronengras und weißem Pfirsich mit einem kleinen floralen Rahmen im Hintergrund. Am Gaumen kommen saftige Scheibchen eines frisch aufgeschnittenen Granny Smith dazu. Die dezente Herbheit des grünen Apfels wird von einer herrlichen Fruchtsüße ausgeglichen und mit zarten Kräutern abgerundet. Seine schönen markanten mineralischen Töne haben einen subtil erdigen Klang und werden von einer bereits deutlich eingebundenen aber noch prägnanten Säure umspielt. Auch bei diesem Riesling gibt es kleine nussige Eindrücke und eine winzige Gerbstoffspur. Ein langer und dichter Abgang mit einem Wechsel von herben und schmelzig süßlichen Noten baut noch einmal ausdrucksvolle Spannung auf, vermittelt eine Ahnung von der Tiefgründigkeit und hält uns lange am temperamentvollen Geschmack fest. Den Wein können Sie bestimmt zwei bis drei Jahre in Ihrem Weinkeller ansehen und dann noch trinken, ihn aber auch gerne schon jetzt zu einem echten Wiener Schnitzel mit einem warmen Gurken-Kartoffelsalat servieren, vorausgesetzt Sie nehmen das Kalbsschnitzel als sorgfältig zubereitetes Produkt einer feinen Küche ernst und ersticken es nicht in der Panade – das Große Gewächs Dienheimer Falkenberg hat es verdient.
2022 Silvaner Orange Landwein Rhein
Landwein Rhein ist ein Wein mit geschützter geografischer Angabe, dessen Herstellung in Rheinland-Pfalz zugelassen ist. Als „täglicher“ Wein entspricht er dem französischen „vin de pays“. Bei Landwein Rhein gilt keine Restzuckerbegrenzung, während andere Landweine maximal halbtrocken sein dürfen. Daher ist es umso interessanter, mit dieser Prämisse einen Orange Wine zu machen.

Im Glas zeigt der Wein aus der PURE-Linie selbstbewusst seine trübe leicht gelb-lachsorange Farbe. Er fällt von Anfang auf mit einem warmen, reifen Duft, einer weit entwickelten Nase und einer imposanten Vielfalt an Aromen. Anders als viele Orange Weine lässt dieser Silvaner auch Primäraromen noch eine kleine Chance. So entdecken wir Birnen, Aprikosen, Quitten und sogar tropische Richtungen von Mango. Hinzukommen würzig-kräuterige Nuancen, florale Anklänge mit nussiger Abrundung und ein winziger Hauch von Honig. Mit zunehmender Belüftung melden sich die beim Orange Wine so markanten Phenole. Am Gaumen dann ein Weinerlebnis besonderer Art: Der Wein ist absolut trocken und doch saftig, er hat zwar ein ordentliches Tanningerüst, das zerstört jedoch nicht seine intensive Aromatik. Die herben und zugleich versteckt süßlichen Fruchtnoten harmonieren sowohl mit der pikanten, leicht salzigen Mineralität als auch mit der Holzwürze und dem äußerst professionell austarierten, samtigen Säurerahmen. Es imponiert, welche Energie der Silvaner freisetzt und mit welcher reifen Phenolik er sich umgibt. Im Finish grüßen noch lange die herbe Fruchtigkeit, eine Ahnung vom Holz und die kräutrige Würze. Ein in der Nase und am Gaumen hochkomplexer, konturenstarker Silvaner, der seine sensorischen Geheimnisse gerne jedem anbietet, der sich auf ihn einlässt. Das ist nichts für schwache Gaumen, aber eine Offenbarung für Forscher und Entdecker. In diesem Sinne vermittelt der Wein sogar noch erstaunliche Eindrücke, wenn man eine Flasche im Kühlschrank über mehrere Tage streckt und jeden Tag die spannende Entwicklung verfolgen kann.
Fotos: © Brüder Dr. Becker
HÖRERLEBNIS mit Lotte Pfeffer-Müller auf der ProWein 2024