An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Das Weingut Nikolaus Köwerich: Die süße Magie des Rieslings von der Mosel
Die Feen, Elfen, Helden und Träumer, Fräuleins und Herren sind los in Leiwen an der Mosel. Sie verstecken sich in Flaschen, die von einem Weingut mit Riesling befüllt werden: dem Weingut Nikolaus Köwerich. Damit es zu keinen Verwechslungen kommt und sich jeder aussuchen kann, von wem er sich verzaubern und verführen lassen möchte, tragen die Flaschen Namen: „Für Elfen und Feen“ – „Für Träumer und Helden“ – „Fräulein Mosel“ – „Herr Mosel“.
Wer sich solchermaßen von Poesie und Wein locken lässt, darf an der Himmelstür des Rieslings anklopfen und weiß: So märchenhaft schön kann Mosel sein. Wer lieber in die Realität zurück möchte, sollte sich Zeit nehmen für einen kurzen Zwischenaufenthalt beim Leitspruch von Familie Köwerich im 104. Psalm der Bibel, in dem Vers 15 einen winzigen Ansatz bietet, um zu verstehen, warum sie sich Jahr für Jahr in der Steillage abrackert, woher die Inspirationen kommen, mit denen sie im Keller Rieslinge zu Sommer- wie Winterträumen formt, und was sie mit ihren Weinen eigentlich sagen will: „Der Wein erfreue des Menschen Herz.“
Das Weingut Nikolaus Köwerich bewirtschaftet insgesamt 10,5 Hektar Rebflächen unter anderem in den erstklassigen Einzellagen Laurentiuslay in Leiwen, Laurentiuslay in Köwerich und Bruderschaft in Klüsserath. Angebaut wird ausschließlich die kapriziöse und edle Sorte Riesling. Die Weinberge, in denen verbreitet über 30 Jahre alte Rebstöcke stehen, sind allesamt Steillagen mit mindestens 30 % Hangneigung, manchmal bis zu 70 %. Hier wird die Arbeit zum Abenteuer und der Winzer ist nicht nur Bergsteiger, sondern im wahrsten Sinne des Wortes Hand-Werker mit Arbeitsstunden, die sich betriebswirtschaftlich nicht mehr vernünftig rechnen. Den Rebstöcken gefallen die Steillagen, können sie sich doch ausgiebig sonnen und im Wechsel zwischen der Wärme des Tages und der Kühle der Nacht die Aromen in den Beeren anfeuern.
Im Keller geht es bei den Köwerichs durchaus innovativ zu. Nick Köwerich hat die Traditionen der Mosel verinnerlicht und praktiziert das Weinmachen als kreatives Handwerk. Seine Weine reifen im Edelstahl, einige auch noch im Holzfass, auf jeden Fall ohne Zeitdruck. Er wartet mit der Unterbrechung der Gärung zur Erhaltung der Restsüße geduldig ab bis sich genügend feine Rieslingaromen entwickelt haben und die Säure gebändigt ist. Das kann er im Edelstahl gezielter als im Holz steuern, um die Frische und die Leichtigkeit der Mosel zu bewahren.
Es gibt vom Weingut keine Sortimentsbroschüre, die einen schon beim Blättern schwindlig werden lässt, noch bevor man die unendlichen Variationen unterscheiden kann. Nick Köwerich konzentriert sich auf wenige Weine mit verschiedenen Charakteren, die alle Facetten des Mosel-Rieslings abbilden. In geeigneten Jahren fügt er seinem kleinen Programm noch Edelsüße ab Auslese aufwärts bei. Da er nur wenige Weine macht, fallen die Ergebnisse von 10 Hektar jeweils in entsprechend hoher Stückzahl an, immerhin kommt er auf eine Jahresproduktion von rund 90.000 Flaschen. Dass ganze Batterien davon in seiner Schatzkammer landen, ermöglicht ihm, jederzeit eine vertikale Verkostung über mehr als 20 Jahre präsentieren zu können. Solche Jahrgänge stehen auf Nachfrage sogar noch zum Verkauf.
Infokasten: Die Geschichte des Weinguts Nick Köwerich
Seit Jahrhunderten ist Familie Köwerich in Leiwen ansässig – belegt ist das in den Kirchenbüchern seit 1548 – ein Jahr, das sonst nur noch aufgrund der Zulassung der Priesterehe für Protestanten in Erinnerung ist. Im 18. Jahrhundert wurde Familie Köwerich dadurch auffällig, dass Maria Magdalena, eine geborene Keverich, der Welt den wohl berühmtesten Komponisten aller Zeiten schenkte - Ludwig van Beethoven. Nikolaus Köwerichs eigene Winzer-Geschichte fängt naturgemäß erst später an: Nachdem er 1990 das Studium in Geisenheim abgeschlossen hatte, avancierte er zum Kellermeister im elterlichen Betrieb und übernahm 1994 das Familienweingut von seinen Eltern Annemarie und Stefan Köwerich. Im selben Jahr erschien die junge Agraringenieurin Anette auf ihrer ersten Dienstfahrt in Leiwen und heiratete zwei Jahre später den jungen Diplom-Ingenieur für Weinbau und Önologie Nick – an der Mittelmosel ist die Welt eben noch in Ordnung. Anette Köwerich hilft an allen Ecken und Enden im Betrieb und führt ihn praktisch gemeinsam mit Nick. Ihre Passionen sind neben Nick und den drei gemeinsamen Töchtern Anne, Eva und Marie die literarischen Betrachtungen der Mosel und ihrer Menschen, die sie bereits in fünf kleinen Büchern poetisch oder novellenhaft formuliert hat, zuletzt im Roman „Briefe von Ophelia und Jan“, in dem es um einen reifen Riesling geht. Tochter Eva Köwerich wurde übrigens bereits zweimal zur Leiwener Weinkönigin gewählt.
Wir haben erneut sechs Weine vom Weingut Nikolaus Köwerich verkostet.
Der Einblick N° 1 gibt den Blick durch die Flasche auf den Wein frei: transparent, klar, gradlinig. Er ist nicht nur ein authentisches Abbild des Terroirs der Weinberge rund um Leiwen, sondern vor allem der Philosophie des Weinguts Nikolaus Köwerich: Luftig leicht mit strahlenden Fruchtaromen und einer belebenden Frische – der unnachahmliche Wegweiser in den beschwingten und unbeschwerten Genuss des Moselweins.
2018 Riesling für Feen und Elfen
An der verführerischen Märchenhaftigkeit der Feen und Elfen hat sich auch beim Jahrgang 2018 nichts geändert. Sie schicken aus dem hellgelb ausgeleuchteten Glas verspielte Blütendüfte heraus von zartblättrigen rosaroten und gelben Blüten und fabelhafte, süßliche Töne von weißen Pfirsichen, Äpfeln, Aprikosen und gelb-roten Pflaumen mit etwas Zitrus, während sich ein winziger Touch frisch gemähter Wiese im Hintergrund hält. Mit seiner blütenduftigen Fruchtigkeit umschmeichelt der Wein auch den Gaumen – sanft und zart, wie man es von Feen und Elfen erwarten darf. Seine feine Restsüße kleidet den Mund lieblich verspielt, frisch, rund und süffig aus. Im tänzerischen Menuett mit einer aktiven Säure und integrativen Mineralik hallt die saftige, dichte Fruchtigkeit noch lange nach. Der Wein ist keineswegs so flatterhaft wie seine mythologischen Namensschwestern, teilt aber ihre Freude am Tanzen und Baden und ist so floral, so filigran, so gewandt und charismatisch wie sie. Mit dem 2018 Für Feen und Elfen hat man die Verbundenheit mit der Natur und der Mosellandschaft direkt im Glas und kann sich Zauberkräften aussetzen. Das ist fast so glückbringend, so heiter und so zärtlich wie die Begegnung mit einer leibhaftigen Fee.
2017 Für Träumer und Helden Klüsserather Bruderschaft Riesling Spätlese
Die meisten von uns sind ja eher Träumer als Helden, dennoch hat Nick Köwerich die Zielgruppe höflich und poetisch zusammengefasst und ermöglicht immerhin der empirischen Mehrheit der Träumer über den gemeinsamen Trunk den Aufstieg in den Heldenrang. Auf dem Etikett verkörpert Caravaggios Maria Magdalena möglicherweise ihre angebliche Sündhaftigkeit als Anreiz für einen verführerischen, sinnlichen Wein. Vielleicht symbolisiert sie aber auch die Überbringung der Auferstehungsbotschaft oder ihre begnadete Vollkommenheit, die ihr zumindest regional die Rolle als Schutzpatronin der Winzer verschaffte. Jedenfalls haben wir einen Wein zum Anschnallen vor uns, so umwerfend ist er. Die hochreifen Trauben wurden bei der Ernte handselektiert, der Ausbau erfolgte im traditionellen, moseltypischen Fuderfass.
Aus dem Glas duftet der Wein vielschichtig nach Pfirsich, Aprikose und Mirabelle mit tropischen Akzenten von Maracuja und reifer Papaya. Immer wieder schummeln sich eine nuancierte Zitrusfrische und ein Hauch gemahlener Macadamianüsse dazwischen. Dann laben wir uns geschmacklich an dem süßlichen Fruchtextrakt mit Kandis, hochreifer Sweet-Ananas, Charente-Melone und einer winzigen Prise Zimt. Die prägnante Säure hat sich gegen ihren Untergang in der Restsüße erfolgreich gewehrt und schaut zusammen mit einer deutlichen Schiefer-Mineralität in alle Mundwinkel. Der Wein lockt mit einer fulminanten Geschmacks-Explosion, dem selbstbewussten, schönen Botrytis-Touch und seinen moderaten 8.5% Alkohol. Der lange, wunderbar dahinschmelzende Abgang betont die fruchtig-edelsüßen Akzente und bleibt saftig und süffig in Erinnerung. Es ist ein komplexer Wein mit einer angenehmen, sündigen Opulenz. Vor allem bietet er jedem eine Chance: Träumer werden zu Helden und Helden zu Träumern. Ein filigranes, kraftvolles und sinnliches Stück Mosel, neben dem am Tisch jedes Dessert die Flucht ergreift.
2018 Fräulein Mosel Leiwener Laurentiuslay Riesling Kabinett
Im Glas ziert sich Fräulein Mosel nicht lange mit dem Bukett und bietet freigiebig, selbstbewusst und fokussiert Aromen von Mirabellen, gelben Pfirsichen, Zitronen und etwas Honig an mit kleinen Düften von weißen und gelben Blüten aus Gärten und Wiesen. Am Gaumen vereinen sich Früchte, Säure und Mineralik nicht wild und plump, sondern zärtlich und nuanciert – fräuleinmäßig eben. Die Früchte streichen keine Rieslingmarmelade auf die Zunge, sondern schweben durch den Mund mit einer herrlichen Süße: klar, frisch und fein. Zu den Fruchtaromen aus dem Bukett kommen Aprikosen und rote Äpfel hinzu, aber auch ein Touch weißer Johannisbeeren und ein schmackhafter Hauch von Würze. Die geschliffene und brillant untergebrachte, aber eben nicht übertrieben auffällige Säure spannt im langanhaltenden, saftigen Finale noch einmal einen sanften Bogen zur Frucht und zur deutlichen Schiefermineralik mit dem heute so beliebten leicht salzigen Unterton. Ein mitreißender süßer Moseltraum mit weiblicher Dynamik und zeitgemäß selbstbewusstem Auftritt. Verzaubern Sie mit diesem Wein ein zärtliches Dinner for Two, einen pinkvioletten Sonnenuntergang oder eine thailändische Hähnchenbrust an süßlich-scharfer Mangosoße. Mit Fräulein Mosel lässt sich aber auch jeder Mädelsabend in Schwung bringen und endlich einmal der verbreitete Fräulein-Rosé abklatschen.
2018 Herr Mosel Köwericher Laurentiuslay Riesling trocken
Die Fruchtaromen in der Nase und am Gaumen stammen von gelbem Obst wie Birnen, Äpfeln und jungen gelben Pflaumen, hinzu kommen zitrushaltige Richtungen von Vierjahreszeitenzitronen, Limetten und Grapefruit. In der Größenordnung eines Hauchs wehen auch weiße Blüten herum. Im Mund machen sich obendrein noch weiße Johannisbeeren und ganz hinten eine schüchterne halbreife Stachelbeere und ein feiner Zug von Würze bemerkbar. Die Säure hat ordentlich Gripp, ist aber nicht aggressiv, weil genial ausbalanciert. Das Frucht-Säurespiel kann es nicht lassen, mit einer vorsichtigen Süßlichkeit moselgerecht an feinherbe Richtungen zu erinnern. Das Finale ist robust und griffig, wobei die Mineralität sich dezent einbringt. Herr Mosel ist komplex und geheimnisvoll, harmonisch und elegant, animierend und höflich – wenn das keine gute Partie ist. Einstweilen können Sie sich ja mit langen Abenden und leidenschaftlichen Momenten zufriedengeben und über des Rieslings männliche Seite staunen.
2015 Leiwener Laurentiuslay Riesling
Das vordere Flaschen-Etikett ist gleichsam das Label-Markenzeichen von Nick Köwerich für seine angestammte Laurentiuslay-Linie. Es erinnert im Gesamteindruck von Schrift und Farbe an die 50er Jahre, obgleich die damals üblichen Wappen, Weinreben oder Moselblicke fehlen. Sein Etikett gleitet gewissermaßen retro durch die Zeiten und hat damit vieles gemeinsam mit seinen Weinen.
Die Lage Leiwener Laurentiuslay ist eine der absoluten Spitzenlagen der gesamten Mosel. Sie besteht aus zwei Teilen, von denen der nördliche auf dem nördlichen Moselufer westlich von Trittenheim liegt und der südliche sich auf dem südlichen Moselufer um Leiwen herum erstreckt. Dieser Teil ist eine Große Lage in der VDP Klassifikation. Die Bezeichnung Schieferlay setzt sich zusammen aus Schiefer und „Lei“, was soviel wie Fels bedeutet. Die Weinberge sind durchzogen von kunstvoll errichteten Trockenmauern und bestockt mit teilweise uralten, wurzelechten Reben, die mit Sonne aus Süden und Südwesten verwöhnt werden.
Der vielbejubelte Jahrgang 2015 war an der Mosel alles andere als unproblematisch. Trotz extremer Trockenheit und unheilvoller Sommerhitze wurden die Winzer bei der Ernte im Herbst dann doch noch von aromatischen, keineswegs säurearmen Trauben angenehm überrascht. Wenn ein Wein wie der 2015 Leiwener Laurentiuslay Riesling nun noch über drei Jahre ruhen konnte, wird er mit seiner prägnanten Aromatik, Komplexität, Kraft und Eleganz zu Mosels Liebling.
Im Bukett lassen sich zart süßliche Aromen von reifen Pfirsichen, Äpfeln, Zuckeraprikosen und Zitrusrichtungen mit kleinen, feinen Orangentönen genießen. Am Gaumen imponieren sowohl die Finesse als auch die Energie, mit denen das Fruchtpanorama dargeboten wird. Neben den Bukettfrüchten entdecken wir weiße Johannisbeeren und einen dezenten Hauch von getrockneten Kräutern. Die Fruchtsüße klebt nicht, sondern zeigt sich eher kühl zurückgenommen, aber mit saftigen, feinherben Nuancen. Sie wird von einer kristallinen Säure und einer intensiven, leicht salzigen Mineralität vom Schiefer in ein langes, straffes Finish begleitet. Das ist ein mit Finesse gestalteter, komplexer Wein, der mit Eleganz und Gradlinigkeit genial brilliert. Er ist mit seinem gekonnt ausbalancierten Verhältnis von Frucht, Säure, Mineralik und den 12,5 Volumenprozent Alkohol die energische Version der Moselklassik und wird sich noch jahrelang mit immer neuen Facetten präsentieren.
01.11.2019
Fotos: © Weingut Nikolaus Köwerich