An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Das Weingut Neustifter im Weinviertel: Natürlichkeit in der Flasche und spektakuläre Wein-Erlebnisse
Wenn man Poysdorf auf der sogenannten Brünner Straße B7 nach Norden in Richtung der tschechischen Grenze verlässt, kann man kurz hinter dem Ort abbiegen zum Weingut Neustifter. Zwischen Feldern, Wiesen und Weingärten eröffnen sich die Gebäude mit dem Presshaus, Weinlager, Verkostungsraum und dem Gewölbekeller.
Poysdorf ist ein kleiner malerischer Weinbauort im Weinviertel in Niederösterreich. Hier ist man im Zentrum eines Dreiecks zwischen Wien, Brünn und Bratislava. Es sind gut 70 Kilometer bis zur Bundeshauptstadt und 15 Minuten bis zur tschechischen Grenze. Die Weinbaugebiete Carnuntum und Wien grenzen südlich an das Weinviertel, Wagram und Kamptal liegen südwestlich, das Waldviertel ganz im Westen. In der Habsburger Monarchie zählten das Weinviertel und das angrenzende Südmähren zu den reichsten Gebieten des Landes, heute ist es Österreichs größtes Weinanbaugebiet und eine der ältesten bäuerlichen Kulturlandschaften Mitteleuropas.
Im Jahre 1930 gründete Karl Neustifter Senior einen landwirtschaftlichen Betrieb, der, wie seinerzeit üblich, nebenher einige Weingärten für den Eigenbedarf und zur Herstellung von Fasswein bewirtschaftete. Das änderte sich über die Jahre, weil die Familie immer neue Weingärten kaufte, die schon bald als beste Poysdorfer Rieden galten: Saurüsseln, Hermannschachern, Zapfelsbergen oder Maxendorf. Sohn Karl Junior besuchte die Weinbauschule Klosterneuburg und arbeitete seit 1981 im elterlichen Wein- und Ackerbau, wo er einen eigenen Betriebszweig mit Apfel- und Marillenkulturen einrichtete. Er engagierte sich vehement für den Weinbau, als es galt, die Folgen des Glykolskandals von 1985 zu überwinden. 1992 übergab Karl Neustifter sen. den schon stark auf Wein ausgerichteten Betrieb seinem Sohn Karl jun. und dessen Frau Brigitte, die nun das Weingut in den Mittelpunkt stellten. Schon bald fiel das Weingut Neustifter durch reinsortige und Cuvée-Rotweine auf, die im Weinviertel damals eher Exoten waren. Inzwischen arbeitet bereits die nächste Generation im Betrieb mit: die vier Kinder Birgit, Juniorchefin Monika, Koch Roman und die kleine Laura.
Die nachhaltige Wirtschaftsführung ist bei Familie Neustifter schon lange eine Selbstverständlichkeit. Auch wenn das Weingut noch nicht als Biobetrieb zertifiziert ist, so will man sich immer wieder von neuem selbst übertreffen, was den nachhaltigen Umgang mit der Natur angeht. Die Rebstöcke werden nicht nur von der Chemiekeule verschont, sondern sie werden aufgepäppelt mit Kompost aus Trester, Grünschnitt von den Äckern, Stroh, Rindermist und Pflanzenkohle aus alten Rebstöcken. Die Rebzeilen sind begrünt und werden mit Heutee, Fermenten und Mikroorganismen bei Laune gehalten. Warmwasser kommt über die Solaranlage, Strom wird mit einer Photovoltaikanlage erzeugt und das gesamte Weingut mit Sonnenblumenausputz beheizt. Dem engen Verhältnis zur Natur entspricht auch die Philosophie von Familie Neustifter: „Wir bringen die Natürlichkeit des Produktes Wein in jede Flasche.“ Man besinnt sich stets auf die lange Tradition als Familienbetrieb, setzt aber gerne auch neugierig und visionär auf Innovationen.
Das Weingut Neustifter hat auf seinem Gelände auch einige Attraktionen zu bieten:
Ein 100 m langer Gewölbekeller mündet in den historischen Weinkeller auf dem „Radyweg“, der längsten Kellergasse in Poysdorf. Die Kellerröhren und Presshäuser sind eher klein, da hier vor allem Weinbauern im Nebenerwerb ihre Keller anlegten und lediglich kleine Spindel- oder Schüsselpressen anstatt der großen Baumpressen einbauten. Es ist dennoch eine klassische Hohlweg-Kellergasse, in der von rund 90 Kellern noch sechs genutzt werden und im Rahmen einer Kellergassenführung besucht werden können. Im Weinarchiv von Familie Neustifter lagern besondere und prämierte Weiß- und Rotweine der letzten 20 Jahre und in der Kellerkatzengalerie findet man die Jahrgänge der Stockkultur-Weine mit den bunten Kellerkatzen von den Etiketten in Lebensgröße nebst Informationen zu den Künstlern. Noch heute werden im Weingut Neustifter auch landwirtschaftliche Produkte angebaut und verkauft, allesamt in Bio-Kultur: Kürbiskerne, Kichererbsen, Rapsöl, Kürbiskernöl und Mais für Popcorn. Zum Weingut gehört seit kurzem auch das 4-Sterne Hotel am Poysdorfer Golfplatz, das einst als Hotel Veltlin firmierte und heute Hotel Neustifter heißt. Hier wird eine verführerische Kombination von Wein, Genuss und Erholung geboten. In der Küche kocht Roman Neustifter mit saisonalen und regionalen Zutaten bodenständig und authentisch. Alle Gerichte sind hausgemacht, der Schweinsbraten kommt frisch aus dem Holzofen und die Blunz´n gehen auf Oma Neustifters Rezept zurück.
Wir konnten sechs Weine aus den verschiedenen Linien des Weinguts mit Ausnahme der Stockkultur-Weine verkosten.
2018 Rosé Cabernet Sauvignon Ried Steinberg Klassik
Der Wein strahlt uns in einem lachsfarbenen Rosé an. Er sendet frische Aromen von roten und weißen Johannisbeeren und von Waldhimbeeren mit einem Hauch heller Kirschen. Im Mund zeigt er eine kräftige und schöne Säurestruktur und eine verspielte Fruchtsüße, die beide perfekt zusammen passen und mit Vitalität und Balance überzeugen. Das ist ein fruchtiger, äußerst lebendiger, herrlich trinkfreudiger Rosé mit einer glücklichen, österreichischen Stilistik. Er bringt das ganze Jahr über sommerliche Lust und Laune ins Glas.
2018 Poysdorfer Saurüssel Grüner Veltliner
Was den verkosteten Jahrgang 2018 angeht, so beherrschten wie in den meisten europäischen Weinanbaugebieten das warme Frühjahr und der extreme Sommer auch das nördliche Weinviertel, so dass die Trauben bereits am 20. August geerntet wurden. Die Vergärung erfolgte gekühlt und langsam im Edelstahl.
Schon das helle gelblich-grüne Weißgold in der glasklaren Flasche lässt Frische und Trinkfluss vermuten. Schnell entwickelt sich eine dementsprechende Aromatik von jungen grünen Äpfeln, Pfirsichen und Zitrusrichtungen mit einem kleinen Touch von grünem Spargel. Auch geschmacklich steht die Fruchtbetonung auf der Bühne, während vegetabile Mitwirkende sich in den Kulissen zurückhalten, aber im Abgang präsent sind. Der 2018 Poysdorfer Saurüssel Grüner Veltliner wird von der knackigen Säure so richtig saftig und energisch süffig gestaltet – man genießt einen garantiert trockenen, leichten, beschwingten und unkomplizierten Grünen Veltliner. Das ist der universelle Indoor- und Outdoor-Partybegleiter für jede Jahreszeit.
Ähnlich wie beim Poysdorfer Saurüssel gibt es beim DAC Weinviertel Vorgaben für die Stilistik und das Weinergebnis, die sicherstellen sollen dass die regionale Typizität zum Ausdruck kommt: Ein Weinviertel DAC muss immer ein trockener Grüner Veltliner aus dem Weinviertel mit 12 bis 13 Vol % Alkohol sein, eine hell- bis grüngelbe Farbe haben und einen fruchtig, würzig-pfeffrigen Geschmack ohne Holz- oder Botrytiston. Das wird von einer unabhängigen Weinkommission streng überwacht, ist aber gleichwohl oder vielleicht deshalb eine Erfolgsgeschichte mit bislang über 5 Millionen Flaschen geworden.
Natürlich entspricht der 2018 Weinviertel DAC Grüner Veltliner Klassik farblich genau den Anforderungen und sendet aus dem Glas tatsächlich die urtypischen Veltliner-Noten zwischen Äpfeln und einem breiten Gewürzrepertoire. Im Mund folgt sogleich die zweite Komponente, die offensiv pikante Spitze vom weißen Pfeffer, die sich mit der intensiven Fruchtigkeit einen Wettbewerb liefert. Dazu gesellt sich eine frische Säure, die professionell eingebunden ist. Ein frischer, spritziger Wein, der ohne Ecken und Kanten in ein geschmeidiges Finale geht. Wir haben hier den echten Klassiker, der nicht nur perfekt in die gleichnamige Linie des Weinguts, sondern auch am Tisch zu einem österreichischen Klassiker wie Tafelspitz passt.
2018 Grüner Veltliner Ried Hermanschachern Exclusiv
Wir sind auf die nächste Stufe des Grünen Veltliners geklettert – die Linie Exclusiv. Es ist ein Lagen-Wein aus der Ried Hermanschachern, an deren steilen Südhängen vor rund 800 Jahren die Geschichte des Poysdorfer Weinbaus begann. Der Name kommt von "Schachen", einem alten Waldmaß. In den Parzellen des Weinguts Neustifter besteht der kalkreiche Boden aus Lehm und Tonerde.
Im Glas glänzt der Wein deutlich gelb mit grünlichen Reflexen. Er duftet animierend nach reifen gelben Birnen, gelben Äpfeln und Quitten. Die Fruchtnoten sind umhüllt von einer feinen Veltliner-Würze. Am Gaumen tritt der Wein mit Nachdruck auf und kleidet den Mund füllig aus. Die quicklebendige und gut austarierte Säure und die zarte Mineralik stützen einen langen, pikant würzigen, runden Abgang. Das ist ein Grüner Veltliner mit feschem Body und selbstbewusstem Charakter, der nicht nur Energie, Frische und einen flotten Trinkfluss, sondern auch eine gehörige Eleganz vorzeigt. Reichen Sie ihn ganz verwegen zu einer Vorspeise von Honigmelone mit Schinken oder zu einer Gebirgsforelle aus der Pfanne.
Die Lage Saurüsseln östlich von Poysdorf dient nicht nur als Business-Marke, sondern ist auch eine der besten Veltliner- und Zweigelt-Lagen des nördlichen Weinviertels. Der Name Saurüsseln beruht darauf, dass hier im Mittelalter Schweine gehalten wurden. Die südöstlich ausgerichtete Kessellage hat einen hohen Sandanteil und einen leichten Lehm-Lössboden. Familie Neustifter hat den Grünen Veltliner aus der berühmten Einzellage in ihrer Terroir-Wein-Linie ausgebaut.
Die Nase erreichen betörende Anklänge von reifen Äpfeln und tropischen Früchten, aber auch Nuancen einer feinen Pfeffernote. Der Wein gleitet würzig und frisch, straff und saftig über die Zunge, sensibel eingebunden in einen vielfältigen Würzrahmen und in eine zarte salzig-mineralische Note. Er offenbart fruchtige Spitzen von Pfirsichen, Mangos und gelben Birnen, dazu einige Röstaromen mit einem schwebenden Hauch von Vanille. Durch sein elegantes Säurespiel kommt der Terroir-Wein animierend frisch daher, mit einer fantastischen Kraft ohne Schwere und einem langen, würzigen, mineralischen Nachhall. Das ist ein großartiger Repräsentant der Rebsorte und ein Charakterwein, der ungeniert seine Herkunft zeigt. Er ist der interessante Solist für Forscher und Entdecker.
2015 Zweigelt Ried Saurüsseln Exklusiv
Das Jahr 2015 endete im nördlichen Weinviertel nach einer nervenstrapazierenden Trockenheit und Hitze im Sommer als sehr gutes Weinjahr, das den Trauben viel Aromatik und Frucht bescherte. Für den Lagen-Zweigelt Exklusiv wurden im Keller die gerebbelten Trauben rund einen Monat auf der Maische vergoren, der Wein reifte nach der malokatischen Gärung im großen Holz.
Im Glas funkelt er kräftig rubin- bis granatrot. In der Nase kreist ein imposantes Bukett von Brombeeren, Heidelbeeren und schwarzen Kirschen mit kleinen Tönen von frischen Zwetschgen. Am Gaumen entfaltet sich ein vielschichtiger, komplexer Körper mit angenehmer Harmonie. Die Eindrücke von Kirschen sind saftig und reif, die Säure hält sich ebenso wie die ordentlich eingebundenen Tannine distinguiert zurück und macht einer sanften Süße und feinen Röstaromen Platz. Im Finish streichelt der Wein noch lange die Geschmacksknospen, weich und ausgewogen. Servieren Sie diesen Paradezweigelt zu einem festlichen Rehrücken oder einem Fasan aus dem Rohr.
15.08.2019
Titel-Foto: © Steve Haider/Weingut Neustifter
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