An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Das Weingut Rinke an Obermosel und Saar: Alles außer gewöhnlich
Hinter dem Saarzufluss bei Konz hört für viele Weintrinker die Welt der Moselweine längst auf. Es heißt, hierhin hätten sich die Rieslinge allenfalls verirrt, hier würden nur noch der verruchte Müller-Thurgau und saure Elblinge vor sich hinwachsen. Dieser eklatante Irrtum beruht schon darauf, dass die Obermosel südwestlich hinter Trier, weil damals zu Luxemburg gehörend, 1787 nicht unter den Riesling-Befehl des Trierer Erzbischofs fiel und es hier beim traditionellen Elbling bleiben durfte, der dann später vor allem der Sektindustrie zugeliefert wurde. Allerdings muss sich ein Riesling an der Obermosel ohnehin schämen, weil er niemals in die honorige Gesellschaft der schiefergeschwängerten, weltbekannten Moselweine aufsteigen könnte. Denn hier herrscht anders als sonst an der Mosel der feine und hochwertige Muschelkalk vor – Chablis und Champagne lassen grüßen. Dem hochmineralischen Muschelkalkboden mit Lehm- und Mergelvarianten gefallen in erster Linie Burgunderreben, denen sie zu Höchstleistungen verhelfen können. Geologisch gesehen gehören die Strukturen ebenso wie die Champagne zu den Ausläufern des Pariser Beckens.
2006 wollten die Nicht-Winzer, weil Anwältin und Unternehmer, Dr. Marion und Alexander Rinke als Quereinsteiger in die Kreation von Weinen investieren. Sie kauften knapp drei Hektar teilweise terrassierte Parzellen "Im Galgenberg" in der seinerzeit fast vergessenen Grand Cru-Steillage Langsurer Brüderberg am linken Moselufer zwischen Igel und Wasserbillig in Richtung des Flusses Sauer kurz vor der luxemburgischen Grenze. Es war ein Start-up der besonderen Art: Keiner der beiden hatte zuvor ein Weingut geleitet oder als Kellermeister einen eigenen Wein gemacht. Aber die Rinkes waren fest entschlossen, neue Weine zu kreieren, Freistil sozusagen, allein mit frischen handwerklichen Winzerkünsten. Fix waren hier nur die Ideen, aber nicht die Regeln.
Im brombeerbefallenen und partiell mit Elbling bepflanzten Weinberg Langsurer Brüderberg mit extremer Hangneigung wurde tabula rasa gemacht. Alles raus, Chardonnay rein. Es waren keine globalisierten, sondern französische Klone allerbesten burgundischen Adels, überwiegend aus der sogenannten "Sélection Massale", mit denen ein neues Terroir entstand. Mittlerweile wurde die Rebfläche um Pinot Noir von burgundischen Klonen mit niedrigstem Ertrag erweitert.
Doch bei der Chardonnay-Bepflanzung blieb es nicht. Marion und Alexander bezogen in ihre strategische Planung auch Wettbewerb, Marketing und Sales ein. Was Neues musste her und das war das Alte: Der historische gemischte Satz war die Zauberformel, mit der sie an der Obermosel und weit darüber hinaus anfangs mit einem einzigen Wein im Programm für Furore sorgten und als erste diese alte Weinbautradition an der Mosel wiederbelebten. Sie mussten ihre Weine allerdings als „Mischsatz“ bezeichnen, da Österreich die Originalbezeichnung hatte schützen lassen.
Der Knüller am gemischten Satz ist allerdings nicht unbedingt die Gemeinsamkeit im Weinberg, sondern die gemeinsame Vinifizierung. Im Gegensatz zur Cuvée, bei der die Rebsorten im Keller assembliert, sprich gemixt werden, wird beim gemischten Satz alles, was im Weinberg wächst, in trauter Verbundenheit gekeltert, was eine Komplexität der Weine nahezu garantiert. Im Weingut Rinke kommt noch ein ganz spezifischer Aspekt des gemischten Satzes zur Geltung, der angesichts des Klimawandels zukünftig verstärkt in allen deutschen Anbaugebieten diskutiert werden wird: Anders als im relativ flachen Burgund sind die Reben in den Steillagen von Mosel und Saar exponiert Sonne und Hitze ausgesetzt, was die Replikation reinsortiger burgundischer Stilistiken auch bei besten burgundischen Böden erschwert. Da kommt ein neuartiges Sortenpotpourri des Gemischten Satzes gerade recht, um einen gewissen klimatischen Ausgleich zu ermöglichen.
Die Art des Weinanbaus im gemischten Satz war bis zum 19. Jahrhundert überall in Europa gebräuchlich, am längsten hat er sich in der Wiener Umgebung gehalten. Die rebsortenreinen Weinberge kamen erst im 19. und 20. Jahrhundert auf. Der Grund für die Bestockungsart im gemischten Satz war eine schlichte Risikoverteilung. Denn Krankheiten, Schädlinge und Wetterbedingungen waren kaum beherrschbar. Oftmals beeinträchtigten sie nur bestimmte Rebsorten, andere wiederum blieben unversehrt. Bei der Diversifizierung im Weinberg konnte man daher immer noch auf einen gewissen Ertrag hoffen. Das Ende des traditionellen und historischen gemischten Satzes in Deutschland kam spätestens mit dem Reblausgesetz von 1929, das die meisten der über 600 uralten Rebsorten verbot: Entweder waren die Hybriden genetisch nicht sauber genug oder die Rebsorten zu fremdländisch. Heute sind noch etwa 25 uralte Rebsorten verkehrsfähig, alle anderen in den deutschen Anbaugebieten zugelassenen Sorten sind Importe wie der Chardonnay oder Neuzüchtungen wie der Kerner.
Alle Weinberge von Familie Rinke werden biologisch nach den strengen Vorgaben von Bioland bewirtschaftet, also ohne Herbizide, chemisch-synthetische Dünger und chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel. Seit September 2024 ist das Weingut nach dreijähriger Umstellungszeit nun endlich bio-zertifiziert.
Was die Vinifizierung bei Rinkes angeht, so gehen sie systematisch, geplant und minimalistisch vor: Die Reben werden im Weinberg zur Vollreife getrieben und mengenreduziert gelesen – selektiv und per Handarbeit. Im Keller wird den Reben mit natürlichen Hefen und spontan auf die Vergärungssprünge geholfen. Aber immer nach dem Prinzip der Low und No Intervention. Reinzuchthefen, Enzyme, Eiweiß- und Klärhilfen bleiben draußen, gefiltert wird nur über Sedimentation. Der Ausbau der roten Sorten erfolgt in 500-Liter Tonneauxs und 1.200-Liter Stückfässern und in gebrauchten Barriques – je nach Jahrgang entweder nicht entrappt oder teilweise entrappt. Man lässt die Weine möglichst durchgären und lange auf der Hefe liegen. So vergären die Pinot Noirs und die Frühburgunder für etwa vier Wochen auf der Maische und reifen mindestens 18 Monate in den Barriques. Alle Weine werden vegan hergestellt. Alljährlich füllt das Weingut Rinke rund 20.000 Flaschen ab. Die Weine sind in die Linien Gutsweine, „Terroir ohne Ende“, Lagenweine, Rotweine und Schaumweine eingestellt. Es werden auch auf der Maische vergorene Weißweine als Orange Weine vinifiziert, die in vorbelegten Barriques reifen.
Es gibt im Weingut Rinke zwar nicht die allseits so beliebte Story von jahrhundertealten Familientraditionen im Reich des Weinbaus, dafür die unbändige Lust, Wein zu machen. Rinke-Weine sind ein außergewöhnliches, ambitioniertes Produkt von Leidenschaft, Idealismus, Mut zum Risiko, akribisch umgesetzten Qualitätszielen, einer optimistischen Kreativität im Keller und nicht zuletzt den selbst geschaffenen Weinbergen, die zu Recht als lebender Organismus voller Energie angesehen werden. Wer Qualität abseits des Mainstreams und seriöse Nachhaltigkeit sucht und das Terroir der Herkunft authentisch schmecken möchte, ist hier perfekt aufgehoben. Zudem ist jeder Jahrgang von Neuem ein spannendes und einzigartiges Erlebnis, schließlich offeriert die Natur keinen zeitlosen Einheitsgeschmack. Der Gault-Millau hat es so zusammengefasst: „Ein einzigartiges Experiment, das man vielleicht in Burgund oder Baden vermuten würde, aber niemals an der Mosel.“ Da ist es nur konsequent, dass die Arbeit von Marion und Alexander regelmäßig mit Auszeichnungen wie dem „Lagencup“, mit Prädikaten wie „sehr gutes Weingut“ (Eichelmann) oder in Magazinen wie Vinum und Savoir vivre maximal gewürdigt wird.
Wir konnten fünf Weine und einen Sekt vom Weingut Rinke verkosten.
2022 Rosé Muschelkalk
Der Wein macht schon im Glas mit seinem illustren Kirschrot an. Er präsentiert sensorisch ein herrliches dezentes Bukett aus Himbeeren, Erdbeeren und roten Johannisbeeren mit einer charmanten Kräuternote. Schon in der Nase kommt die Sommerlaune auf Touren. Am Gaumen tritt dann die vielfältige, schlanke Frucht des Terroirs auf, ohne die trockene Stilistik zu kippen. Interessante und überraschende Röstnoten mit Anklängen an Nougat und würzige Richtungen machen diesen Rosé geradezu einzigartig. Die straffe Frische belebt mit jedem Schluck, was sich leicht zu einem strömenden Trinkfluss steigern kann. Im Abgang schmulen schüchtern einige Gerbstoffe um die Ecke und begleiten den mineralischen Touch. Ein swingender Sommerweinwein, der auch ein Lachsfilet oder ein mediterranes Gemüse vom Grill rosa ausleuchtet.
2022 Wild auf Schiefer Saar-Riesling Kabinett
In der Nase entfaltet er sich dezent, aber nachhaltig, allerdings nicht mit den üblichen Verdächtigen wie Aprikose und grüne Apfel, hier duften zarte Töne von Kräutern und Gewürzen mit der zarten Frucht von reifen Pfirsichen um die Wette, dazu florale Noten von Jasmin und Flieder und eine Anmutung von Nüssen. Über die Zunge fließt ein schlanker und extraktreicher Kabinett mit der unvergleichlichen Leichtigkeit und Spannung des klassischen Saarweins – gradlinig, fruchtig, frisch und lebendig. Sanfte Fruchtnoten von Litschis und Zitrus, die vom Bukett bekannten frischen Kräuter und vegetabile Spuren treffen auf eine sanfte Säure und markante Mineralität. Alles zusammen legt mundfüllend und abgerundet ein sauberes, saftig-griffiges Finish hin. Mit dem gemäßigt reduktiven Stil verschaffen die Rinkes diesem Wein im feinherben Kabinett-Rang eine feine Eleganz. Wie die meisten Saarweine kann der 2022 Wild auf Schiefer gerne als Solist auftreten, er schmeckt aber auch auffällig gut zu indonesischen Satay-Spießen mit in Kurkuma marinierten Hähnchenbrustfilets plus einer würzigen Erdnusssoße und Duftreis.
2022 Pinot Gris „Schiefergestein“ trocken
Aus dem Glas schickt der Wein neben den sortentypischen Duftaromen von Mandeln, Birnen und Blüten sogar kräutrige und nussige Töne mit einigen Röstaromen und winzigen Spuren von dunklen Beeren. Geschmacklich tritt der Grauburgunder extrovertiert trocken auf mit erstaunlich prägnanter Säurestruktur und klarem Ausdruck, der sowohl feinfruchtig als auch mineralisch unterlegt ist. Im Abgang erfreuen wir uns noch lange an dem ordentlichen Zug, den filigranen nachhallenden Röstaromen und dem typischen weichen Burgunderschmelz, den er dem langen Hefelager verdankt. Das ist keiner dieser verspielten Pinot-Gritschio-Typen, sondern ein dichter, reintöniger und kraftvoller Grauburgunder. Mit dem starken Auftritt dieses Weines können Sie abseits des Spargel-Mainstreams deftige Gerichte begleiten, zum Beispiel einen Eintopf aus gelben Erbsen und Schweinefleisch, gerne auch mit gerebelter Salbei, Liebstöckel und Koriander, alles behutsam abgeschmeckt, dazu eine Prise gemahlener Beifuß.
2022 Langsurer Brüderberg Chardonnay S
Hell und leuchtend strohgelb strahlt er uns aus dem Glas an, der Chardonnay von der Mosel. Seit 1991 ist die Sorte in Deutschland zugelassen und wird in allen deutschen Anbaugebieten von vielen Weingütern „zusätzlich“ angebaut, man will ja international sein. Nach der allgemeinen Neugier am Neuen ist die Nachfrage bei der Kundschaft etwas zurückgegangen, weil Klima und Terroir hierzulande die bekannte tropische Neue-Welt-Aromatik (noch) nicht hergeben, obgleich er angesichts des derzeitigen Tempos der Klimaveränderung jedenfalls in sonnenreichen Jahren mindestens in Richtung Neuseeland-Typ marschiert. Wer europäisch mineralische Chardonnays mag, zieht oftmals die am ehesten vergleichbaren burgundischen Chardonnays wie den Chablis vor. Dabei lässt sich der Chardonnay auch in deutschen Anbaugebieten im Keller mithilfe der Gärungsprozesse und der Reifung im Holz stilistisch wunderbar verzaubern. Und genau das führen Marion und Alexander Rinke mit diesem Chardonnay der S-Klasse in einer Stilistik vor, die bereit ist, den Chablis und andere Appellationen des nördlichen Burgunds zu überholen.
Der 2022 Langsurer Brüderberg Chardonnay S hat ein leicht kräutrig-florales Bouquet von der spätherbstlichen Wildblumenwiese, dazu gelbe Äpfel und ein klitzekleiner Dash Zitrus plus nussige und rauchige Nuancen. Im Mund beeindruckt er mit einer coolen, herben aber doch exotischen Richtung, bei der Litschis, Mirabellen, Aprikosen, aber auch Kokos, Anis und dunkle Beeren mitmachen dürfen. Das lange druckvolle Finale wird von der cremigen Textur getragen und lässt Ahnungen von Gewürzen und Kräutern aufkommen. Der Abgang wird von der lebendigen Säure und einer prägnanten Mineralik gestützt, die der Muschelkalk in die Reben transportiert hat, Das isses – so muss ein hochwertiger Obermosel-Chardonnay sein, um mit den großen Burgundern aus Chablis gemeinsame Fahrt aufzunehmen und sie zu überholen. Servieren Sie diesen Charakterwein zu einem Red Snapper aus der Pfanne oder zu einem schicken Rebhuhn-Gericht.
2022 Pinot Noir Réserve vom Schiefer Oberemmeler Altenberg
Dieser Spätburgunder offeriert im Bukett eine auf Sauerkirschen, rote Waldbeeren und Cassis aufgebaute Fruchtigkeit und feinduftige Nuancen von Kräutern und Nüssen nebst einem Hauch von Veilchen und kleinen Röstnoten. Am Gaumen zeigt der Wein ordentlich Charakter, die Burgunderaromen tummeln sich mit Energie und Komplexität im Mund. Er bleibt mit einer freundlichen, gut integrierten Säure, der schiefrig-mineralischen Komponente und der seidigen Textur der Tannine immer geschmeidig und wirkt niemals ungezähmt. Wir nehmen geschmacklich dunkle und rote Beeren nebst Zitruszeste, Granatapfel und subtile Mokkatönen im Background wahr. Das lange, schmelzige und fruchtige Finish verrät Holz, drängt es aber nicht auf. Ein reiner, fast schlanker, eindeutig trockener, saftiger und eleganter Spätburgunder, der der schon jetzt eine feine Harmonie und Finesse verkündet, die zu höchster Eleganz auflaufen wird. Er fühlt sich besonders wohl zu einem saftigen Rheinischen Sauerbraten mit einer Soße wie anno dunnemals, begleitet aber auch locker fast jedes Pasta-Gericht. Und bitte den Wein mindestens dreißig Minuten durchatmen lassen, bevor er in Burgunderstiele gefüllt wird.
2020 PassionSaar But Nature Riesling Sekt
Die Trauben des Grundweins kommen aus der Saarlage Oberemmeler Altenberg, der flaschenvergorene Sekt lag länger als 40 Monate auf der Hefe. Brut Nature oder brut de brut oder Zero oder non dosé – alles bedeutet Verzicht auf die zweite Dosage, die Versanddosage, und auf die damit verbundene Zuckeranreicherung. Das ist oft nichts für schwache Zungen, aber eine Offenbarung für viele Trockentrinker. Diese Sekte sind zunehmend nachgefragt, vor allem von Sektliebhabern, die meinen, sich schon an alles gewöhnt zu haben.
Und so perlt der 2020 PassionSaar But Nature nachhaltig und vorbildlich wie ein feiner Nieselregen. Im Glas funkelt er im satten Goldgelb hochreifer Rieslingtrauben. Das Bukett erscheint sehr sortentypisch, mineralisch und höchst elegant. Eine angenehme Melange aus dem Duft von grünen Äpfeln und Birnen mit etwas Brioche und einem Hauch Zitrus entfaltet sich. Im Mund verbindet sich die aktive und doch erstaunlich moderate Säure mit einer modern salzigen, schiefrigen Mineralität zu einer herrlichen Frische und einer edlen Saftigkeit. Es zeigen sich dezente Aromen von Äpfeln und Mandeln, einige Zitrusnoten und eine sehr dezente leicht süßliche, schiefrige Würze sowie eine vorbildliche cremige, harmonische Textur. Das ist der Sekt für besondere Anlässe und festliche Momente, Sie können ihn aber auch zu Graved Lachs im Mund schäumen lassen.
12.03.2025
Fotos: © Weingut Rinke