An den vier Enden der Welt
An den vier Enden der Welt
Das Weingut Fritz Haag an der Mosel: Mit legendären Rieslingen an der Weltspitze des Genusses
Wenn Weine als außerirdischer Genuss erscheinen, dann gehört die sensationelle Kollektion des Weinguts Fritz Haag dazu. Es ist eines der vielleicht drei Weingüter an der Mosel, die mit ihren Rieslingen an der Weltspitze stehen – aber nicht nur mit einem besonderen Jahrgang oder mit einem Ausnahmewein, sondern nahezu jahraus, jahrein mit fast dem gesamten oberen Sortiment, sowohl fruchtsüß als auch trocken und feinherb. So etwas ist eine Lebensleistung, die der 2022 verstorbene Wilhelm Haag vorgelegt hat und Sohn Oliver Haag mit ungebrochenem Erfolg weiter formt. Wenn es bei der UNESCO eine entsprechende Kategorie gäbe, gehörte das Weingut Fritz Haag zum Weltkulturerbe des Weinbaus. Es ist ein Denkmal, das nicht einfach so als kulturelles Monument herumsteht, sondern sich alljährlich immer wieder erneuert.
Auch wenn es inzwischen einige Rebstöcke und dementsprechend einige Flaschen Weißburgunder gibt, so ist das die sprichwörtliche Ausnahme, die die Regel bestätigt: Die Haags machen (fast) nur Riesling und das mit vollendeter Perfektion für den maximalen Trinkgenuss. Sie sind sozusagen eine Grand Cru-Referenz – nicht nur an der Mosel, sondern im deutschen Weinbau schlechthin. Wenige deutsche Weine erreichen als Schatzjahrgänge regelmäßig so hohe Auktionssummen. Fritz Haag ist eines der berühmten Weingüter, die dafür sorgen, dass der Riesling weltweit das begehrte Aushängeschild des deutschen Weins ist.
2005 übernahm Oliver Haag mit seiner Frau Jessica das Weingut, das in der Generation davor seit 1957 sein Vater Wilhelm Haag geführt und den Ruf legendärer Weine begründet hatte. Wilhelm Haag wurde 1937 geboren und unterbrach 1957 sein Studium in Österreich, um wegen der Krankheit seines Vaters Fritz während der Ernte im Weingut auszuhelfen – was dann in ein fast 50 Jahre währendes Winzerleben mündete. Das Weingut Fritz Haag ist Mitglied des VDP. Von 1984 bis 2004 war Wilhelm Haag Vorsitzender des VDP.Mosel Großer Ring und später dessen Ehrenvorsitzender. Er gehört zu den Winzern, die frühzeitig und klug dem Generationswechsel den Weg ebneten, um den Betrieb in der Familie zu halten. Auch Olivers älterer Bruder, Thomas Haag, wurde von Vater Wilhelm zum Winzerberuf verführt, er ist seit 1993 Inhaber und Kellermeister des Weinguts Schloss Lieser, nur wenige Kilometer entfernt am anderen Ufer der Mosel. Oliver Haag hat die Fachhochschule Geisenheim mit dem Abschluss als Diplom Önologe besucht. Im praktischen Teil seiner Ausbildung war er auf den legendären Spitzenweingütern Helmut Dönnhoff (Nahe), Karthäuserhof (Ruwer) und bei Mont du Toit in Südafrika, wo er an einem Weinprojekt von Bernd Philippi und Bernhard Breuer teilnahm. Danach leitete er fast fünf Jahre lang das große und berühmte Rheingauer Weingut Wegeler in Oestrich-Winkel, das wir auch schon vorgestellt haben.
Oliver Haag gehört zu der Geisenheimer Generation, die verinnerlicht hat, dass mindestens 80% des Weins im Weinberg gemacht werden, und zwar mit der Natur und nicht gegen sie: Seit Jahren bewirtschaftet das Weingut die Weinberge organisch ohne Pestizide. Das bekommt vor allem den über 100 Jahre alten wurzelechten Reben gut, die der Reblauskatastrophe entkommen sind. Die manuelle Weinlese erfolgt mit gnadenloser Selektion meistens in vier Durchgängen. Im ersten Durchgang werden erst mal die Trauben für den eher säurebetonten Gutswein abgeschnitten – das macht zumeist ganz grob 20% des Rebbehangs aus. Die verbleibenden 80% dürfen auf die Verwendung in den Ortsweinen und den Große-Lage-Weinen hoffen. Die vorsichtig zur Kelter transportierten Trauben kommen zur Ganztraubenpressung, dann noch ein kurzes Anquetschen und je nach Qualitätsstufe wird weiter abgepresst oder die Trauben erfreuen sich an Maischestandzeiten von sechs bis acht Stunden. Die Gärung erfolgt mit eigenen Hefen ganz überwiegend spontan, der Wein wird in Ruhe gelassen bis im März die ersten Qualitätsstufen filtriert werden, die Weine der Großen Lagen bis Ende Mai. Abhängig vom angestrebten Weinstil erfolgt der Ausbau im Edelstahl und im Fuder-Holzfass, stets mit so wenig Eingriffen wie möglich, malolaktische Gärung ist grundsätzlich nicht erwünscht. Die Technik im Keller ist mit den Jahren zwar kontinuierlich modernisiert worden, immer orientiert sie sich aber an handwerklicher Methodik mit schonender, nachhaltiger und selektiver Verarbeitung. Wenn die Weine abgefüllt sind, beginnt für viele Flaschen die Reise in alle Welt. Immer sind sie der Botschafter ihrer Herkunft und ihres Terroirs sowie des Weinbau-Handwerkers Oliver Haag und seiner Leidenschaft und Inspiration.
In den Brauneberger Steillagen wird die Arbeit zum Abenteuer und der Winzer im wahrsten Sinne des Wortes zwangsläufig zum Hand-Werker und zugleich zum Weinberg_steiger. Es geht hier immerhin um bis zu knapp 80° Neigung, das sind etwa 40 Grad, was als schwarze Black-Diamond-Skipiste reichen würde. Die mühsame Arbeit schafft eine besondere Beziehung zu den erstklassigen Weinen, die man dem Terroir entlockt. Den Rebstöcken gefallen die Steillagen, können sie sich doch ausgiebig sonnen und im Wechsel zwischen der Wärme am Tag und der Kühle der Nächte besonders im Frühherbst die Aromen in den Beeren anfeuern. Die Sommer an der Mittelmosel waren schon immer durch reichliche Sonne begnadet – ein fast mediterran anmutendes Klima. Das wird allerdings in Zeiten der Klimaveränderung vor allem für Südlagen zunehmend zur Herausforderung. Während früher jeder Oechslegrad herbeigesehnt wurde, kommt es jetzt darauf an, den optimalen Erntezeitpunkt abzupassen, um dem Säureabbau zuvorzukommen und im Keller nicht Alkoholbomben entschärfen zu müssen. Wenn für die Großen Gewächse früher noch Mitte bis Ende Oktober in den Steillagen herumgeturnt wurde, sind sie inzwischen oftmals schon im September im Keller. Die allgemeine Erwärmung scheint der Mosel zwar beständigere Jahrgänge zu sichern, die Extremwetterlagen erhöhen andererseits die Gefahr von Schäden, vor allem durch Hagel. Die übrigen Jahreszeiten an der Mittelmosel sind mild und gemäßigt, statistisch irgendwo zwischen See- und Kontinentalklima. Die Weinberge profitieren von der im Norden ansteigenden Eifel, die vor übermäßigem Regen und starken Westwinden schützt und eher mal einen sanften Föhn rüberschickt. Wenig Wind heißt tendenziell bessere Wasserhaltung im Boden und gleichmäßige Wärme, die von der Verdunstung der Moseloberfläche feucht gehalten wird. Die Schwüle kann zwar eine Botrytisneigung fördern, ist aber grundsätzlich vorteilhaft für die Reben, löst im Hochsommer oftmals aber auch schwere Gewitter aus und kann für die Arbeit in den Steilhängen zur echten Tortur werden.
Was das Terrain angeht, so ist der Brauneberger Abschnitt der Mosel zu 60 bis 80% vom Devonschiefer mit Eisenoxideinschlüssen verwöhnt. Das ist ein bis zu 500 Millionen Jahre altes Gestein, das nach der Grafschaft im Südwesten Englands benannt ist. Es ist sozusagen zu Stein gequetschter Ton und Schlamm eines urzeitlichen Meeresbeckens. Schiefer im Weinberg bedeutet weniger Unkraut, schnelles Aufheizen durch die Sonne, Speicherung der Tageswärme und Abgabe an den Rebstock in der Nacht, vor allem aber die deutliche Aromatisierung des Weins durch eine ausgeprägte mineralische Komponente. Kleines Manko in der Schieferbilanz: Der Boden ist nährstoffarm und braucht ordentliche Mistfuhren zur Humusversorgung. Dummerweise hält er grundsätzlich das Wasser schlecht und lässt die mühsam angehäuften Nährstoffe oftmals schnell wieder in die Tiefe sausen, vorbei an den langen Wurzeln der alten Rebstöcke. Der Effekt ist an der Mittelmosel allerdings weit geringer, weil der immer wieder aus der Tiefe hochdrückende Schiefer hier stark verwittert und mit viel Lehm oder Ton durchzogen ist.
Die Brauneberger Juffer Sonnenuhr
Der Lage Juffer Sonnenuhr wird die Geschichte von der im Weinberg aufgestellten Sonnenuhr nachgesagt, die von den Dorfbewohnern auf der anderen Moselseite gut ablesbar war. Mehrere Hundert dieser meist steinernen Zeitmesser dürfte es an der Mosel heute noch geben. Die Juffer Sonnenuhr zeigt, wie alle alten Sonnenuhren, die tatsächliche Ortszeit an: Wenn die Sonne am Mittag ihren Höchststand über Brauneberg erreicht, fällt der Zeigerschatten genau auf zwölf Uhr. Abgesehen vom Sommer-Winterzeit-Wechsel gibt es im Vergleich zur 1893 eingeführten Mitteleuropäischen Zeit einen Unterschied von rund 30 Minuten – das bedeutet, dass die Sonnenuhr um eine halbe Stunde nachgeht. Erst 1971 wurde der Weinberg einschließlich der historischen Lage Falkenberg als Juffer Sonnenuhr von der Weingesetzgebung anerkannt.
Das Weingut Fritz Haag bewirtschaftet heute rund 35 Hektar mit einer Jahresproduktion von über 135.000 Flaschen, von denen rund 60% ins Ausland exportiert werden. Die Mehrsprachigkeit der rückseitigen Labels ist daher kein Gag, sondern ein hilfreicher Service für die vielen Kunden in aller Welt. Die Weine sind in die Linien der drei VDP.Klassifizierungen eingestellt: VDP.Gutsweine, VDP.Aus ersten Lagen und VDP.Große Lage. Daneben präsentiert das Weingut noch die Kategorie Prädikatsweine. Hier rangieren in hergebrachter Manier die Spätlesen, Auslesen, Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen, die sich mit der besagten Goldkapsel innerhalb ihrer Prädikatsstufe noch weiter gen Genusshimmel abheben. Man kann in all diesen Weinen förmlich schmecken, dass das Weingut Fritz Haag eines der deutschen Top-Weingüter ist. Klar, dass dies seit Jahrzehnten unentwegt durch Prämierungen und von allen Weinführern bestätigt wird: Der Punkte-, Gläser- und Sterneregen lässt sich in seinem Umfang und seinen oft euphorischen Belobigungen kaum noch darstellen. Bezeichnend ist, dass Wilhelm Haag der Erste war, der im Gault Millau zum „Winzer des Jahres“ gekürt wurde. Das war schon 1994, als diese begehrte Auszeichnung eingeführt wurde. Im Jahr 2000 wurde Vater Wilhelm vom „Feinschmecker“ und vom inzwischen eingestellten „Weingourmet“ für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Oliver Haag bekommt im Gault Millau regelmäßig seine 5 Trauben, die höchstmögliche Bewertung als weltbeste Erzeuger, zu denen in deutschen Landen nur wenige Weingüter gehören. Das Online-Magazin „wein-plus“ prämierte Oliver bereits 2008 für die beste Kollektion im deutschen Wein. Riesling-Experte Stuart Pigott hält ihn nach wie vor für „einen der besten Erzeuger des gesamten Gebiets“. Der Weinpapst Robert Parker hat in seinem WineAdvocate schon die 2016er Weine von Oliver Haag beschrieben als: „One of the finest collections I have tasted this year along the Mosel.“
Wir konnten sechs Weine des Weinguts Fritz Haag verkosten.
2023 Brauneberg -J- Riesling trocken
Überall in den Brauneberger Lagen wurzeln die Reben tief im lockeren, steinigen bis feinen Schieferverwitterungsboden an den Steilhängen. Während der Klostergarten mit 65% Neigung nach Süd-Südost ausgerichtet und damit etwas kühler ist, sind Juffer und Juffer Sonnenuhr reine Südlagen mit Steigungen von bis zu 75%. Die Mosel intensiviert die Sonnenstrahlen als Reflektor und wärmt den Devonschiefer verlässlich auf. Die Reifephase der Trauben wird durch die warmen Tage und kühlen Nächte verlängert, so dass sich mehr Aromen entwickeln als in schnell reifenden Früchten. Es ist dieses besondere Zusammenspiel aus Mikroklima, Böden und Rebsorte, das diese weltberühmten Lagen und den Terroircharakter des Weins so einzigartig prägen. Nach einer langen Ausreifung der kleinbeerigen Trauben, die größtenteils aus uralten Rebbeständen stammen, wurde mit Oechslegraden in Spätlesequalität manuell geerntet und dabei streng selektiert. Nach kurzer Mazeration erfolgt die temperaturkontrollierte Gärung im Edelstahltank und im Fuder. Danach reift der Wein für einige Monate auf der Feinhefe.
Aus dem Glas weht das fast ortstypische mineralisch-salzige, ganz leicht rauchige Lüftchen aus dem Schieferabdruck mit Feuersteintouch. Es transportiert in die Nase eine herrlich vielseitige, vorerst noch etwas reduktive Aromatik von reifem Apfel, Williams-Christ-Birne, Zitrusfrucht und etwas Aprikose und Orangeat mit einem winzigen Hauch von Würze aus der Weihnachtsbäckerei und einer überraschenden Anmutung von Walnuss und Pfeffer. Hier zeigt sich eine ganz individuelle und hochinteressante Seite des Moselrieslings ohne Exotik-Fruchtkorb und ohne Botrytisrausch.
Im Mund baut der Wein einen vollvolumigen Druck und eine explosive Spannung auf. Er trinkt sich frisch-spritzig und fruchtig an – kristallklare Trockenpuristik und intensive Impressionen von reifer, fester Frucht und frischen Wiesenkräutern. Zu der erschnüffelten Aromatik kommen Töne von Zitronengras, Mirabellen, Sternfrucht, Pfirsich und Melone hinzu, aus dem Hintergrund winkt eine angedeutete Spur von Cassis. Mit zunehmender Belüftung baut er seine Tiefe aus, komplex und nachhaltig und dennoch superschlank. Er geht mit seiner krachenden Energie am Gaumen sorgsam um, nicht enervierend, eher mit wohldosiertem, gleichwohl vollmundigem Griff. Was gegensätzlich erscheint, führt der Wein auf der Basis erstaunlicher Werte von Restsüße und Fruchtsäure harmonisch zusammen: schmelzig weich und vibrierend rassig, energische Power und kühle Eleganz mit feinzisilierter Struktur. Im langen, strammen Finale wird die ausgeprägte, würzige Schiefermineralik von der lebendigen Säure gestützt und in eine feinsüßlich-saftige, zart schmelzige Unendlichkeit getragen. Eine großartige Balance zwischen intensiver Kraft, kristalliner Klarheit, Finesse und distinguierter Eleganz. Eigentlich schrammt der Brauneberger -J- Riesling trocken dicht entlang am Großen Gewächs. Eine köstliche Versuchung, die zu jedem Anlass auftrumpft. Auf Augenhöhe könnte ihm eine getrüffelte Poularde aus dem Rohr oder ein Couscous von der Kalbskeule gefallen.
2023 Brauneberger Juffer Riesling trocken VDP.Großes Gewächs
Dass man einen exquisiten, eleganten Wein im Glas hat, bemerkt schon die Nase. Sie freut sich über das Feuerwerk von mineralisch dichten, komplexen Tönen mit feingliedrigen Aromen von reifen Granny Smith, Aprikosen, Mirabellen, zarter Bergamotte, roter Grapefruit, gelber Honigmelone und Nüssen nebst einigen tropischen Früchten wie Litschi, Passionsfrucht und Goldkiwi. Obendrauf kommt eine kleine floral-vegetative Abrundung von weißen Blüten und frischem Heu. Die Fruchtigkeit ist weniger kühl und eng verwoben mit Anklängen von gebrannten Mandeln, Kräutern und der animierenden Schiefermineralik. Der Gaumen wird dicht, saftig und druckvoll verwöhnt. Gleichwohl drängelt der Wein nicht, sondern schwebt intensiv, fast leichtfüßig und mit perfekt austarierter feiner Säure durch den Mund. Er ist klar und sauber, völlig frei von Botrytisandeutungen. Würzig herbe Noten und feiner, fruchtiger Schmelz von Aprikosen und Litschis treffen auf eine vibrierende Finesse und eine gut integrierte mineralische Textur. Tiefgründig und verspielt zugleich geht er in einen fantastischen langen Abgang, voller Zitrusnoten, einem Hauch von Zwetschgen und subtiler, salziger Mineralik. Das ist kein Wein zum ehrfürchtigen Etikettengucken, sondern ein elegantes Großes Gewächs mit saftigem Trinkfluss. Sie können ihn locker zehn bis fünfzehn Jahre liegen lassen, er wird noch expressiver, würziger und komplexer werden. Also ab mit einer 12erKiste in den Keller und neugierig jedes Jahr eine Flasche mit Staunen genießen. Der Wein ist der geborene und erkorene Solist, er zeigt seine Impressionen aber auch gerne jenseits der üblichen Verdächtigen, beispielsweise zu pochierten Venusmuscheln oder einem leckeren Rebhuhngericht.
2023 Brauneberg Riesling Tradition feinherb
Der Brauneberger Riesling Tradition präsentiert der Nase spontan einen Korb mit reifen, gelben Früchten, in dem Pfirsiche, gelbrote Äpfel und Quitten liegen. Immer wieder schleichen sich markante Zitrusnoten an den anderen Früchten vorbei und verbünden sich mit einigen floralen und hefigen Noten und einem kleinen Eindruck blonden Tabaks. Das anfangs leicht Reduktive kapituliert nach wenigen Minuten im Glas – zunehmend entfaltet sich die feine, manchmal fast erdige Mineralik, deren schön salziger Charakter vom Schieferboden mit Moselgeschmack kommt. Im Mund tritt der Wein harmonisch und komplex, leicht und lebendig auf, ohne jede Schwere. Saftig und ausdrucksstark kompakt kommt seine kühle Fruchtigkeit an. Glasklar und rein in der Struktur fährt er über den Gaumen mit voller Grapefruitkraft und Anklängen an reife Clementinen und Nüsse, dazu schummeln sich einige Kräuternoten und florale Anklänge über die Zunge. Die Säure ist lebendig und begleitet ein nachhaltiges, feinherbes Finish, in dem der Wein noch einmal seine strahlende Schiefermineralität mit einer schönen dezent süßlichen Rieslingwürze aussendet. Die tiefgründige Gleichzeitigkeit von zart-restsüßer Frucht, gradliniger Säure und frischer Mineralität ist schon verblüffend. Ein feinherber Mosel mit filigraner Eleganz und faszinierender Brillanz. Der Brauneberger Riesling Tradition ist der Wachmacher mit einem markigen Riesling-Weckruf, der bereits so überzeugt, dass man es kaum erwarten kann, die nächsten Stufen auf der Sortimentstreppe zu betreten. Er passt gutbürgerlich zu einem klassischen bayerischen Schweinsbraten mit dem üblichen Beiwerk oder etwas weniger bürgerlich zu einem Schwertfischcurry an einer pikant-fruchtigen Soße.
2023 Kestner Paulinshofberg Riesling Kabinett
Im Bukett überholen dezente Aprikosendüfte die kühlen Zitrusnoten und lassen Äpfel, weiße Fliederblüten, einige Kräuter und einen betörenden Hauch Mandeln durch. Die Zunge freut sich über eine klare, gleichwohl milde Zitrusspannung und über Töne von Pfirsichen und einen rieslingtypischen Touch schwarzer Johannisbeeren und Brombeeren. Dazu kommt eine tiefgründige, angehaucht rauchige Schiefermineralität. Die präzise und quicklebendige Säure kommt klar und vibrierend herüber, sie vereint sich mit der imponierenden natürlichen Fruchtsüße in einem überaus harmonischen Zusammenspiel. Im Abgang tritt der Kabinett saftig, straff und geschliffen auf mit süßfruchtiger Säure, modern salziger Mineralik und einer würzigen Kräuternote– ein leichter, kühler Riesling, frisch, fein, mit schlankem, filigranen Körper. Er ist ein herausragendes Beispiel für die berühmte Haag Stilistik der hocheleganten, feinfruchtigen und gleichwohl puristischen Moselweine mit Lagencharakter. Ein zartsüßer Kabinett-Wein mit Reife- und Alterungspotenzial. Servieren Sie ihn zu einem Red Snapper in Kokos-Mango-Soße oder zu knackigen, leicht asiatisch-scharf gewürzten Blattsalaten oder einem alten holländischen Kumin-Gouda.
2023 Brauneberger Juffer Riesling Spätlese
Im Glas funkelt die Spätlese, die in Haags Prädikatsweinsegment rangiert, in einem zarten Strohgelb mit vereinzelten grünlichen Reflexen. Wir schnüffeln an einer kühlen Aromatik herum mit prägnanten Zitrus-, Litschi- und hochfeinen Pfirsichnoten nebst Tönen von grünen und gelben Äpfeln, Melone, weißen Blüten, einigen frischen Kräutern und etwas Cassis. Wie gewohnt entfalten sich die schlanken Aromen von Minute zu Minute extensiver. Was die Schiefermineralik angeht, so weht sie aus dem Glas mit einer leichten, angenehm salzigen Briese, die mit der Fruchtsüße kokett herumtänzelt. Im Mund entfalten sich zu den Zitrusrichtungen auch Töne von Honigmelone und Pfirsich, dazu exotische Früchte wie Papaya und Rambutan. Vor allem aber beeindruckt das lineare, harmonische Miteinander von fantastischer Fruchtsüße, aktiver Säure und eher hintergründiger, aber dennoch substanzieller Schiefermineralik. Davon wird auch der lange, saftige und würzige Abgang mit einer winzigen Anmutung von mürbem Gerbstoff geprägt. Eine perfekt austarierte Spätlese mit verspielt leichter und frischer, aber gehaltvoller Textur – beschwingt und animierend. Ein charmanter Begleiter, der zu jeder Jahreszeit den Sommer aus dem Glas lässt und jeden netten Abend zu zweit umrahmt. Erleben Sie seine Begleitung abseits des Pairing-Mainstreams auch einmal zu Apfelstrudel mit gebrannte-Mandel-Eis.
2022 Brauneberger Juffer Sonnenuhr Riesling Auslese Goldkapsel
Schon in der Nase brilliert präzise und intensiv die geheimnisvolle salzige Mineralität des Schiefergesteins. Die reife, dichte und komplexe Aromatik von Äpfeln, kandierten Zitrusfrüchten, Aprikosen, Mangos, Maracujas, Nüssen, Zimt und Wiesenhonig fesselt und verführt. Wir schmatzen vornehm lautlos aber mit verdrehten Augen auf einer üppigen Fruchtsüße herum, die von einer spritzigen Fruchtsäure mit dem richtigen Schliff umrahmt wird und mit einer erstaunlichen Tiefe versehen ist. Dabei bleibt diese Auslese immer locker und saftig, cremig und konzentriert, sie wirkt niemals klebrig oder marmeladig und vor allem nicht im geringsten botrytislastig. Mit zunehmender Beatmung drängeln sich in die mineralische Restsüße eine Bergblumenwiese, aber auch Mandarinen, rote Grapefruit, Karamell, Akazienhonig und Kandis-gesüßter Darjeeling. Die opulente, facettenreiche Frucht wird mit saftiger Frische präsentiert, was dieser Auslese eine ungewöhnliche, fast luftig-kühle Eleganz verschafft. Sie ist perfekt ausbalanciert, filigran und abgerundet, man erlebt mit allen Sinnen die Quadratur des Auslese-Kreises. Die Zunge taumelt in ein fülliges, schmelziges, pikantes Finish mit Open End auf der nach oben offenen Genussskala. Mit diesem Wein kann man seine dummen Vorurteile gegenüber den edelsüßen Weißen pflegen oder sich bis zur Sucht verführen lassen. Ein großer und offensichtlicher Wahnsinn und eines der überragenden Rieslingerlebnisse der Welt, das mit jedem Schluck die Geschichte seiner Herkunft erzählt. Das heißt Genuss pur, zu schade, um sich ablenken zu lassen von den üblichen Blauschimmel- und Apfeltart-Orgien.
25.04.2025
Fotos: © CMF-Chris Marmann
Titel- und Flaschen-Fotos: @ Weingut Fritz Haag